Der König Von Korsika
uns weismachen zu wollen, das Leben sei nur dieses oder nur jenes. Und auf dem Theater ist es dasselbe. Ich will Tränen in den Augen haben, aber es sollen auch Lachtränen dabei sein. Ironie und Mitleid sollen Sie in Ihr Stück geben.
So, dachte Theodor, was immer er jetzt auftischt, werde ich mir mit gutem Gewissen sagen können, und er selbst wird es sich sagen müssen: daß ich ihn dazu inspiriert habe und auf den richtigen Weg geführt.
Also darf ich ja vielleicht auf Verständnis hoffen, sagte Garrick, denn um nichts anderes ist es mir und ist es der Figur des Harlekin zu tun, als mit Lachen und Weinen die Wahrheit zu sagen und dazu noch auf eine Art und Weise, in der die Subtilitäten der großen Dramenworte durch die Drastik der Körpersprache ins menschlich Verständlichere herabgemildert werden. Sie kennen doch, weitgereist wie Sie sind, gewiß Herrn Molières Scapin?
Theodor nickte ungeduldig.
Sehen Sie, mein Harlekin ist eine ganz ähnliche Figur. Einer, den das Publikum auf den billigen Rängen liebt, denn
er gehört zu ihnen und sagt den Mächtigen die Wahrheit, und auch von denen wird er geliebt, da sie sich gerne die Wahrheit sagen lassen, sofern es nur auf der Bühne geschieht, und es ist ein köstliches Gefühl für sie, so gezüchtigt zu werden, ohne daß irgendeine Spur an ihnen zurückbleibt. Wo in der Tragödie nobel gelitten wird, da kreischt er, worüber geschwiegen wird, das zeigt seine Pantomime, dafür aber wird er geprügelt, und hat er die Gelegenheit, prügelt er zurück. Er ist, Majestät, ein Märtyrer aller geschundenen Körper, und das verstehen die Zuschauer und lieben es, dafür kommen sie in Scharen und bezahlen gutes Geld. Und nun stellen Sie sich vor, dieser Harlekin befreit Korsika vom Joch der Republik, unter den Augen der opportunistisch danebensitzenden Mächte, ohne ihr Zutun, spüren Sie, wieviel Gelegenheit zu tiefem Ernst im Spaß, zu von Gelächter versüßter bitterer Wahrheit es da geben wird? Harlekin, ein besserer König als alle unsere Herrscher? Freilich muß er dann, denn das geht ja nicht, Harlekin als Fürstenspiegel, mit Stockhieben davongejagt werden...
Nun ja, entgegnete Theodor lächelnd, Stockhiebe waren es gerade nicht...
Ich stand auf der Brücke der Revenger , die vor Isula Rossa ankerte, und ich sah die Küste, wo ich, meinen Soldaten voranreitend, einige Jahre zuvor ein gewaltiges Heer vernichtet hatte. Auf den wolkenumspülten Gipfeln lag gleißendweißer Schnee. Ich streckte die Hand aus und konnte diese wilde, wunderschöne Insel, die mir gehörte und sich mir als Heimat offenbart hatte, spüren wie der Bauer, der prüfend in die Erde greift und an ihr riecht, um zu sehen, ob es ein gutes Jahr werden wird. Und ich roch, daß es ein gutes Jahr werden würde. All die Zeit und Mühe war endlich zum Kristall der Erfüllung zusammengeschossen. Die Silbermünzen mit meinem Konterfei darauf würden in aller Welt als Zahlungsmittel kursieren. Ich stand auf den soliden Eichenbohlen des englischen Flaggschiffs, unterstützt
von einer Weltmacht, die mir blind folgte. Meine Getreuen, die nie verzagenden Freiheitskämpfer, der kleine Giafferi, der kluge Costa, der ritterliche Paoli und mein eigener Sohn Friedrich standen neben mir an Bord, Männer unterschiedlichsten Temperaments, aus denen ich eine Faust geformt hatte, die meinem Willen gehorchte. Alle hatten sie meiner Rückkehr geharrt, alle warteten sie auf den Moment der Apotheose. Und dann...
Theodor, der in den leeren Raum gesprochen hatte, als rede er zu sich selbst, drehte sich beiläufig zu Garrick um, hob die rechte Hand und machte mit Zeige- und Mittelfinger eine fast lautlose schnippende Geste.
Der Unterarm hatte sich, nicht langsam, nicht schnell, sondern in träger Grazie bewegt, und dieses Schnippen ohne den Daumen, der die Bewegung in ein dynamisches Schnalzen verwandelt hätte, war nur resignierend zu nennen. Es wäre resignierend zu nennen gewesen, hätte es nicht etwas derart Leichtes, Spielerisches gehabt, wie ein Abstreifen von Asche, wie wenn ein Italiener eine Anekdote mit einem ecco abschließt, das heißen soll: »Sie sehen ja, ich bin trotzdem noch hier.« Aber es wirkte zugleich auch wie ein letzter Ton auf dem Cembalo, ein schelmisches Pling , das, den schweren Schlußakkord auflösend, sich ein wenig über ihn lustig macht. Die Bewegung, mit der man ein Stäubchen vom Fingernagel wischt...
Garrick wußte sich gar nicht mehr zu fassen. Er war aufgesprungen. Seine Ohren
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