Der König Von Korsika
Straßenräuber
und Prostituierte, sind doch nun lange vorbei. Und doch, und doch, Reputation will unser Stand einfach nicht erlangen, als sei die Freiheit, die wir uns herausnehmen, mit Würde nicht vereinbar.
Wer Angst vor der Freiheit der anderen und am meisten vor der eigenen hat, entgegnete Theodor, muß ihr freilich die Würde absprechen und sie nur der strengsten Konvention zugestehen. Aber der freieste Mann, den ich kannte, und so weit jenseits des gesunden Mittelmaßes, daß man ihn geköpft hätte für seine Exzesse, wäre er nicht der Prinz gewesen, und zwar zu Recht, war auch einer der würdigsten. Allerdings mußte man die Würde des Gian-Gastone de Medici am Grund eines Sumpfs der Selbsterniedrigung und Selbstzerstörung suchen. Er stellte die Erbärmlichkeit der menschlichen Kondition am eigenen Leibe bloß, das besaß Würde, wenn auch nicht im bürgerlichen oder christlichen Sinne.
Er glaubte wohl nicht an Gott, sagte Garrick.
Eher nicht, er sagte mir einmal: Neuhoff, mein Beichtvater glaubt wirklich, daß es keinen Gott gibt, ich, ich glaub nicht einmal das. Aber das wäre eine Rolle für Sie.
Ein Skeptiker, ein moderner Mensch. So jemandem wird eine Tragödie nicht gerecht.
Nein, der selige Gian-Gastone hätte sich gewünscht, der Held einer komischen Oper sein. Aber alles der Reihe nach. Zunächst das Stück über mich.
Hochinteressant, was Sie mir da erzählen, Sir, denn was die Tragödie betrifft -
Oh, Sie meinen wegen meines Todes? unterbrach Theodor. Da darf ich Sie beruhigen. Zögern Sie keinesfalls, mich sterben zu lassen. Mit ein wenig Glück kann ich dann von einem Logenplatz aus meine eigene consolatio hören. Auch, was das übrige betrifft: freie Bahn der Melpomene.
Gewiß, Sir, druckste Garrick. Aber es ist weniger Melpomene, die mich beunruhigt, als Tyche. Wir brauchen
einen Renner, übrigens auch im Interesse des Benefizgedankens. Eine Tragödie in der Art Shakespeares... mit fünf Akten... die Würde und Größe des Strebens, natürlich, aber wissen Sie, was die Leute rufen in den seelenzerreißendsten Momenten des Hamlet? Mach ihn endlich fertig, du Langweiler, rufen sie... Und Sie, Majestät, ein moderner Mensch...
Theodor sah, wie Garricks Züge zerbröselten vor lauter Scham und Widerwillen, auszusprechen, was er lieber von seinem Gegenüber erraten haben wollte. Der betrachtete das gekonnt – mit kaltem Schweiß! – dargestellte Tableau inneren Ringens, und plötzlich verstand er und rief im selben Moment aus: Sie wollen »Harlekin in Korsika« schreiben!
King Harlequin , flüsterte Garrick tonlos, und dann ein kleinwenig lauter, so wie aus einem niedergebrannten Kaminfeuer plötzlich noch einmal eine helle Flammenzunge hochlodert: Die Rolle meines Lebens.
Einen Moment lang verschwand Garrick, verschwand die Musik und das Verlies, und Theodor verspürte wie einen Phantomschmerz denselben Sog in die Abgründe der Lächerlichkeit wie dreizehn Jahre zuvor in Amsterdam. Aber es war nur eine Erinnerung diesmal, und er unterdrückte die Replik, die ihm auf der Zunge lag. Es war an Garrick, nicht an ihm, jetzt zu sprechen und sich herauszureden.
Ich sehe es an Ihrem Blick, Majestät. Auch Sie denken gering von meinen Harlekinaden, wie denn auch nicht. Sie, ein Mann von höchster Bildung und Erfahrung, Sie müssen glauben, es sei ein Zeichen von Mißachtung, womöglich von Hohn, das Drama, das sich an Ihrer Existenz, Ihrem Stern inspiriert, zur Apotheose des Harlekin zu machen, der, unter uns gesagt, mein Alter ego ist, mein liebstes Kind, mein Zwillingsbruder und, was immer die Kritiker auch sagen mögen, die einzige Gestalt, in der ich dem Theater
wirklich Neuland schaffe. Ich flehe Sie an, Sir, lassen Sie mich versuchen, Ihnen zu erklären, hören Sie erst und richten Sie dann.
Warum soviel Tremolo, lieber Garrick? Glauben Sie, ich hielte mich für eine Shakespeare’sche Tragödiengestalt? Meinen Sie tatsächlich, ich wäre unsensibel für die Ironie des Ortes, der uns zusammenführt? Das Leben ist ein Sehnen nach Klarheit und Reinheit, um das wie die lästige Fliege ums Licht doch immer die Ironie der Erkenntnis summt, und Gott ein Dramatiker, dessen Werke mit ihren Obszönitäten und ihrer unstrukturierten Überlänge an keiner französischen Bühne eine Chance hätten. Nur die Simultaneität von Tragik und Komik ist wahr und Lüge jeder Versuch, diesen unappetitlichen, aber lebenswarmen Mischmasch zu scheiden in Gut und Böse, Hell und Dunkel, Ernst und Heiter und
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