Der König Von Korsika
Lear zum Beispiel oder für Ihr Stück, darüber müssen wir nun aber endlich sprechen, was brauche ich da, was muß ich entdecken? Ein Etwas, eine Geste, eine besondere Art, den Kopf zu heben und zu wenden, eine Schwere oder vielleicht eine Leichtigkeit der Bewegung, die ich mir einverleibe, bis ich sie beherrsche, etwas, das nur dem Souverän eignet, der Kern, aus dem heraus sich alles andere organisch entwickelt. Was glauben Sie, Majestät, warum ich so oft krank bin, ich strapaziere meinen Körper nämlich ins Übermenschliche, wissen Sie, woran ich leide? Gallenkoliken, Gicht, Gelbsucht, Flatulenz, schwarze Zunge, ahnen Sie, Sire, was es heißt, auf der Bühne an Flatulenz zu leiden?
Theodor, dem Garricks Ausführungen etwas zu physisch-persönlich wurden, hob die Brauen und sagte: Dem Körper seine Freiheit zu lassen auf der Bühne gehört wohl zwangsläufig einer neuen Epoche an, die der Freiheit an sich einen höheren Wert beimißt als der Sittlichkeit. Es scheint mir nur natürlich, daß ein Zeitalter, welches das Recht der Menschen, so zu sein, wie sie mögen, auf seine Fahnen schreibt, auch den Körper aus der Kontrolle durch den Geist entläßt. Vorzüglich auf dem Theater, wo zunächst einmal zur Belehrung und zum Gaudium des Publikums gezeigt wird, wie es dann nächstens in den Straßen kommt.
Obgleich die Freiheit, Sire, ergänzte ein ernüchterter Garrick, doch der Stern ist, der über Ihrem Königreich Korsika stand. Die Präambel Ihrer Verfassung ist durch alle europäischen Gazetten gegangen...
Theodor hatte das Gefühl, den freiheitlichen Flatulenzen des Schauspielers Einhalt gebieten zu sollen, und sagte: Ich meine, daß Freiheit etwas ist, das zum Geist gehört, nicht zum Körper, zur Seele, nicht zum Staat. Als Gedanke hat sie die große Chance, Ironie bleiben zu können, als Tat kippt sie zu schnell in Anarchie und Barbarei.
Aber Ihre Präambel, Ihr Korsika, rief der Schauspieler empört.
Ein Textbuch, und gerade Sie sollten wissen, daß alles auf die Interpretation ankommt, auf den Ton. Wobei ich Ihnen zugebe, daß man den richtigen besser trifft, wenn auch die Vorlage stimmt. Wir sollten alle Shakespeares Texte nachleben können, anstatt jeden Gedanken wie eine Angelrute ins Nebelmeer der Wörter werfen zu müssen und zu hoffen, daß uns ein Fang gelingt.
Ich gestehe, daß ich mich nie sicherer fühle, als wenn ich auf der Bühne stehe und meinen Text spreche.
Ja, antwortete Theodor, das kommt daher, daß diese Bühnenworte das tiefste sind, was auszudrücken Ihnen beschieden ist.
In der Tat. Wenn ich mir nach dem Auftritt die Schminke abwische, habe ich manchmal Angst, das Gesicht dahinter gleich mit fortzuwischen.
Es wäre nicht weiter tragisch. Die Schminke, dies eine der Erkenntnisse meines Lebens, ist das Entscheidende.
Und wer sind Sie, Majestät, ohne Schminke?
Das ist ein Geheimnis. Und ich achte Geheimnisse viel zu sehr, um sie aufdecken zu wollen. Auch und gerade diejenigen, die ich vor mir selbst habe.
Aber, fragte Garrick, nach vorn gebeugt, die Zunge zwischen die Lippen geklemmt und offenbar im Glauben, er sei kurz davor, jenes gewisse Etwas zu fassen, das er für seine schauspielerische Anverwandlung so dringend brauchte, wenn Sie ganz alleine sind, Sire, ganz alleine hier in der Stille sitzen, was tun Sie dann, was denken Sie dann?
Dann fröne ich dem Einstweh.
Der Nostalgie, sagte Garrick weihevoll, der großen vergangenen Zeiten.
Nun, die Nostalgie ist nur die melancholische Seite der Sehnsucht. Aber wenn Sie es denn so nennen wollen, ist es
eine etwas anders geartete als bei meinem jungen Freund Walpole.
Es war Zeit, das Gespräch auf diesem Umweg zu dem Theaterstück zu bringen, andernfalls würde Garrick den ganzen Abend verplaudern.
Er macht halb London rebellisch, Majestät. Er zeigt Papiere, Münzen, alle möglichen Dinge aus Korsika, er erzählt überall, daß England und sein Vater Sie im Stich gelassen hätten damals und versucht, dem Rad der Weltgeschichte in die Speichen zu greifen...
Ein recht erfolgreicher Versuch, sagte Theodor.
Er organisiert Sammlungen und Benefizveranstaltungen, unter uns gesagt, er ist ein Wirbelwind in allen Gassen, der darunter leidet, keine Passion zu haben, die ihn selbst betrifft, nichts Eigenes.
Denken Sie nicht niedrig von solchen Menschen, widersprach Theodor. Unsere Epoche krankt an einem Übermaß der Passionen. Ein leichtfüßiger Geist, der mehr Neugierde als Leidenschaft besitzt, ist mir sehr sympathisch.
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