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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Man muß nicht immer zum Kern allen Seins vordringen wollen, um so weniger, als man nicht weiß, welche Enttäuschungen einen dort erwarten. Ein Amateur, ein Dilettant kann zu wunderbaren Resultaten gelangen im Leben. Man braucht, um Sie selbst zu zitieren, lieber Garrick, nicht unbedingt den kalten Schweiß angesichts einer Epiphanie auf der Stirn zu fühlen, um zu begreifen, daß man lebt. Ein Mann wie der junge Walpole ist von allem, was auftaucht, angezogen, und in manchen tiefen Brunnen, über dessen Rand er sich neigt, fällt er eben hinein. Die Hauptsache ist, daß er auch wieder herausfindet.
    Auch ich treibe so, sagte Garrick, dem bei dieser launigen Eloge auf Walpole nicht genug die Rede von sich selbst war, ich bin in St. James wie in St. Giles zu Hause, und überall beobachte ich die Menschen. Es ist mein Lebenszweck und Inhalt, mit meinem Körper und meiner Seele in immer
neue Gestalten und Kostüme zu schlüpfen und wieder und wieder ein anderer zu sein.
    Sehen Sie Garrick, bei mir liegt der Fall genau umgekehrt: Ich, das ist eine Armee Unbekannter, die sich des Körpers und des Schicksals von Theodor Neuhoff bemächtigen, um beides in all seinen Möglichkeiten auszuloten.
    Soll ich Ihnen einmal den Walpole geben?
    Theodor lächelte und hob die Hände. Ich fühle mich in seiner Gesellschaft ja selbst immer wie eine der gotischen Kathedralen, die er so sehr bewundert. Ein großes, etwas baufälliges Gemäuer aus einer reineren Epoche, von dem er das Moos kratzt, damit es noch fremder aussieht.
    Garrick lachte. Ich bin sicher, Sire, verzeihen Sie mir, er würde Sie auch gerne miniaturisieren lassen und mit sich herumtragen wie das Modell seines Hauses oder Sie wie eine seiner Majoliken aus der Vitrine ziehen und unter gelehrten Kommentaren am Tisch von Hand zu Hand gehen lassen.
    Kommen wir zu unserem Stück, Garrick, sagte Theodor.
    Ja, genau, das Stück, erwiderte der Komödiant und sprang unter dem Zwang seiner inneren Aufgewühltheit hoch, um sich die ihn beschwerenden Gedanken abzugehen. Mit einem neugierigen Blick blieb er vor der Psyche stehen. Zunächst sah er gar nichts, weil die leicht näselnde Baritonstimme Theodors und die Musik seine Sinne blockierten. Die Kerzen warfen ein unstet flackerndes Licht auf die silbrige Fläche, in deren Tiefe er dann wie auf der Oberfläche eines Sees das Gesicht des Königs sah mit den zwei tiefschwarzen Augenzisternen. Er stellte sich so, daß sein eigener Kopf den anderen verdeckte. Der Vollmond geht auf, dachte er bitter, eine leere Scheibe mit den flachen Kratern der Blatternnarben. Seine Augen glichen eher lehmigen Pfützen. Er machte eine Grimasse, um den Ausdruck herbeizuzitieren, den ein Kritiker der »World« sein »sardonisches Lächeln« genannt hatte.

    Ich gestehe, Sire, was mich an meinem Vorhaben ängstigt, ist die Tatsache, daß der Held meines Stücks mir im tatsächlichen Leben gegenübersitzt. Ich fühle mich, als beginge ich einen Verrat, einen Diebstahl.
    Machen Sie sich darüber keine Gedanken, ich empfinde mein Leben selbst so sehr als Fiktion, daß jede fremde Interpretation mir neue, unbekannte Einblicke gewährt. Und es ist ja nicht das erste Mal, daß über mich geschrieben wird. Wenigstens werde ich zu einem solchen Unterfangen jetzt auch einmal persönlich befragt, da ich doch diese oder jene Marginalie beisteuern könnte. Haben Sie schon einen Titel für die Tragödie? Man muß immer mit dem Titel anfangen.
    Sie wären also nicht erzürnt, Majestät, über gewisse dichterische Freiheiten?
    Erkennen Sie Würde und Größe meines Strebens an, Garrick?
    Aber natürlich...
    In allem anderen sind Sie frei, zu schalten und zu walten, wie Sie möchten. Das einzige, was ich nicht ertrage, ist nicht ernst genommen zu werden.
    Garrick starrte den Mann mit dem schütteren Haar an, der in einer verschossenen Samtjacke auf seinem Sessel thronte.
    Ja, die Würde und die Freiheit, sagte er tastend, ich kenne das. Denn um unsere Würde ist es seltsam bestellt. Die höchsten Herren bewundern unsere Freiheit und Kunst und schicken uns Blumen und Konfekt in die Garderobe, aber im Zivilleben weigern sie sich, einem die Hand zu geben. Gott weiß, daß ich bei mir im Theater ausgemistet habe und Regeln eingeführt und mein Lebtag versucht, der Bühne Würde und Respektabilität zu gewinnen. Mein Privatleben, das darf ich Sie versichern, ist über jeden Tadel erhaben, über jeden Zweifel. Die Zeiten, da man uns Halunken nennen durfte und Lustknaben und

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