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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Arabesken explodierendes Feuerwerk kommentierender Bonmots, Sottisen und wie aus der Pistole geschossener Repliken, daß dem Pagen vor Staunen der Mund offenstand. Er hatte einen Meister vor sich.
    Wie spät ist es? Mittag? Sehr gut. Ich ruhe jetzt eine Stunde, nehme anschließend eine leichte Kollation mit zwei Gläsern Mousseux, und dann wird es Zeit für das Déjeuner von Madame. Nun muß ich noch meine Atemübungen machen. Wenn Sie mich dazu entschuldigen würden...

    Am Nachmittag war Theodor bei der bunten Gesellschaft im Park zugegen, wo die Schranzen sich in konzentrischen Kreisen um die Pfälzerin und ihre Cour drängten wie schwärmende Wespen um ihre Königin.
    Es dauerte über eine Stunde, bis Mortemart sein Stichwort bekam. Eine der hohen Damen sagte etwas, und bevor der Klang ihrer Worte noch verweht war, durchschnitt aus der zweiten Reihe, scharf wie ein Tranchiermesser, der Spruch des jungen précieux die Stille. Ein Herzschlag Pause, dann Gelächter, Applaus, Fächergeschwirr, Erröten und kokett drohende Finger. Mortemart hatte sich seinen Tag verdient.
    Gegen Ende der Lustbarkeit wandte sich eine Gräfin an ihn und lud ihn zum Wiederkommen ein. Mit einem Kopfnicken zu Theodor verschwand er mit seinem Bücherköfferchen, leicht gebeugt wie ein Handwerker, der nach getaner Arbeit nach Hause geht, zurück ins Nichts, aus dem er vermutlich kam.
    Und seinesgleichen gab es Hunderte.
    Ihnen gegenüber fand sich die privilegierteste Gruppe der Versailler Bevölkerung: der Hof selbst, die farbenprächtige, strahlende, brillante, hypersensible, dekadente, gelangweilte, perverse, hochgebildete und unaufhörlich plappernde Pfauenschaft all derer, die sich nicht zu rechtfertigen brauchten, deren Existenz finanziell und hierarchisch gesichert war, die nicht arbeiten mußten oder doch nur symbolischen Tätigkeiten nachkamen, einer Kabinettssitzung hier, einem bunten, fahnenschwenkenden Feldzug da, und die nach Zeitvertreib lechzten wie sündige Seelen nach dem Heil.
    Es war das funkenschlagende Aufeinandertreffen der hungrigen Aufstrebenden mit den übersatten Arrivierten, ihre Dialoge, ihre Liebeshändel, ihre Intrigen, ihre Spiele und Aufführungen, die dem Hofe seinen ganz Europa erleuchtenden Glanz verliehen.

    Le Nôtres Park war die erste Bühne der Welt, auch wenn es wie üblich hieß, früher, als der König noch jung und lebenslustig gewesen sei und selbst mitgemacht habe, sei alles größer, schöner, wilder und verrückter zugegangen, und Theodor sagte sich schwindelnd, daß er mitten darauf stand und von Millionen Menschen beneidet wurde.
    Freilich ahnten diese Millionen nichts von den Realitäten. Denn waren Hof und Park auch eine Bühne, so doch ebensosehr ein Ort, an dem Lebenszeit dahinging, wo die Uhren womöglich noch erbarmungsloser tickten als andernorts, und was in Spiel und Selbstdarstellung an Energien verpulvert wurde, konnte nicht mehr für das eigentliche Leben genutzt werden.
    Aber was ist das eigentliche Leben denn eigentlich, fragte Theodor sich verwirrt und wie in die Unendlichkeit einer Spiegelflucht blickend. Gibt es überhaupt eine Grenze zwischen dem, was man für die anderen darstellt, und einem andern, das man nur für sich selbst wäre? Lag eine Tiefe unter der schimmernden, aus tausend verschwiegenen Anstrengungen bestehenden Oberfläche, oder war diese Oberfläche alles, was es gab, und besaß womöglich einfach eine gewisse, das Nichts abdeckende Dicke?
    War die Leichtigkeit, die er so liebte, das Element, aus dem man bestand, oder nur der Firnis, die Endpolitur über einem schweren, soliden, langweiligen Unterbau aus Arbeit, Lernen und Bildung, der all die brillanten Figuren bei Hofe lediglich zu auffälligeren, zivilisierten Verwandten der herkömmlichen Menschen, der dumpfen Landbevölkerung gemacht hätte, so wie letztendlich auch der Pfau nur ein etwas prächtigeres Huhn ist.
    Instinktiv suchte Theodor Halt bei der alten Pfälzerin, die in den vierzig Jahren, die sie hier lebte, kupiert, beschnitten, verpflanzt und entrindet worden war und dennoch im Kern sich nicht verändert und verformt hatte. Sie ließ sich Theodors sohnes-, oder besser enkelhafte Anlehnung
gefallen, und er lauschte stundenlang, wenn sie von früher erzählte, von daheim, und klagte.
    In ihrem Schutz und Schatten lernte er die komplizierte Grammatik der Versailler Kommunikation, die Standardformeln und ihre Bedeutung, die Sprachcodes, die die Hierarchien trennten und verbanden, das Parlando, das

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