Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
die Namen, die flüsternd, hochachtungsvoll, zweifelnd, verächtlich oder genüßlich genannt wurden. Nun, er lebte auch so, aber er war zum Verstummen und Große-Augen-Machen verurteilt, und das lag ihm letztlich nicht.

    Jedes zweite Gespräch in Versailles drehte sich um Geld, und das war für Theodor ein weiteres großes Mysterium. Die Welt des Palastes schien nach ähnlichen Gesetzen zu funktionieren wie die Existenz des Grafen von Mortagne: ein offenbar unabhängiger Kreislauf von Geld und Arbeit auf der einen und frei und unabhängig agierende Individuen auf der anderen Seite. Aber obwohl alles da war, was man brauchte, Nahrung, Kleidung, Möbel, obwohl Reisen stattfanden und in Luxus geschwelgt wurde, war die Rede vom Geld, seinem Mangel, genauer gesagt, und woher es kommen sollte, omnipräsent.
    Die Schulden des Landes, das hieß die Schulden des Königs, seien unermeßlich, hörte Theodor, und soviel er verstand, nahm jedermann das als Freibrief, sich an dieses Kreditleben anzuhängen und um so verächtlicher – aber auch öfter – vom Geld zu sprechen, je prekärer die eigene Situation wurde.
    Der Abbé Ducreux erklärte ihm: Die Spannung zwischen dem Palast und Paris wächst von Jahr zu Jahr. Es ist ein Mysterium, wie lange das Geld noch von dort zu uns fließen wird. Haben Sie gesehen, wie viele Bankiers hier mittlerweile herumlaufen?
    Für Theodor war das Mysterium die Frage, wie es eines Tages zu ihm gelangen werde, wenn er nämlich, was zwar noch in ferner, unsichtbarer Zukunft lag, aus seinem Nest hier fallen würde.
    Wieder einmal stellte er fest, daß ihm Mysterien lieber waren als klar überschaubare, analysierbare Gegebenheiten. Es war ihm angenehmer, in eine dunkle Wolke hineinzuschreiten und sich Schicksal und Zufall anzuvertrauen, als sich seinen Weg durch eine vor ihm liegende Aufgabe hindurchdenken zu müssen. Das eine verlangte Improvisation und Glück, das andere eine an ihren Resultaten meßbare Anstrengung, und derlei Anstrengungen empfand er als Zumutung an sein Selbstwertgefühl. Nein, er ließ den
Dingen und Menschen lieber ihren Lauf und zog es vor, sich von ihnen überraschen zu lassen.
    Das Geld, woher es kam und wie es wieder verschwand, daß man es brauchte und was man damit anfing, war ein solches Mysterium, ein Hort möglicher Überraschungen, ein anderes war die verlockend blauschimmernde Baroness Valentini.
    Ein drittes ergab sich aus der Begegnung mit dem Marchese Vanzetti, dem Astrologen Madames, zu dem Theodor eines Tages geschickt wurde. Der Marchese, der, wie seine Herrin angedeutet hatte, gar kein richtiger Marchese war, erwies sich nichtsdestoweniger mit seinem vollen schwarzen Lockenhaar, das keine Perücke duldete, seinem Richelieu-Bart und einer etwas theatralischen, rotsamtgefütterten schwarzen houppelande , als höchst beeindruckende Erscheinung, die den jungen Mann zum ersten Mal mit einer Sonderform der Naturwissenschaften bekanntmachte, die seinen Neigungen entgegenkam.
    Denn sowohl die Astrologie als auch die alchimistischen Experimente, die der Italiener praktizierte, gingen von naturwissenschaftlichen Prämissen aus, benutzten auch die Regeln und das Vokabular, ließen jedoch eine breite Bresche im arroganten, selbstgenügsamen System der Zahlen, in die das Unwägbare, Unkontrollierbare, das Interpretierbare, kurz: das dem Wort Zugängliche und sich ihm Beugende einströmen konnte.
    Theodor fragte so begeistert nach, daß der Marchese ihn in die Grundregeln der Sterndeutung einführte, und lernte soviel, wie er immer lernte, daß heißt genug, um jeden Außenstehenden glauben zu machen, er verstehe etwas von der Materie. Mit anderen Worten: Er lernte die symbolische Handhabung dieser Wissenschaften, die menschlich genug waren, dort wo Theodors Wissen zerfaserte, sich in ebenso interessant klingenden wie vagen Sätzen fassen und manipulieren zu lassen.

    Die Alchimie liebte der Page noch mehr als die Gestirnskunde, denn sie ließ vor allem Auge und Ohr auf ihre Kosten kommen. Das Exakteste an ihr schien der halb rosenkreuzerische, halb katholische Ritus von Beschwörungs- und Konsekrationsformeln, Gesten, Anrufungen und Versen, einer peinlich genau respektierten Anordnung verschiedener Steine, Metalle und Werkzeuge, Momenten der Stille und Sammlung und gregorianisch anmutender gesummter Antiphone, mit der sie sich umgab, um ein dem Gelingen günstiges geistiges Klima zu schaffen, lange bevor es an konkrete Verrichtungen ging. Das, zusammen mit der

Weitere Kostenlose Bücher