Der König Von Korsika
ohne dabei seiner Würde verlustig zu gehen. Fast bedauerte er es, das Privileg ausgeschlagen zu haben, Monsieur de Cheisseux in seine reine und von einer gewissen Tragik der Sterilität umwölkte Welt zu folgen, in der reife Männer den Samen des Geistes in junge Adepten pflanzten und aus der, ähnlich wie im Kloster, die fremde, beängstigende, mysteriöse Lockung der Weiblichkeit ausgeschlossen war.
Aber kurz darauf nahm Theodor zum ersten Mal die Baroness Valentini wahr, eine der Ehrendamen der Herzogin, und der kalt-heiße Sturm von Empfindungen, den ihr Anblick auslöste, ließ ihn dem Schicksal danken, sich einer derartigen Erfahrung nicht vor der Zeit versagt zu haben.
Wenn er die Italienerin auf den ersten Blick als derart berückend empfand, daß er sich einen zweiten verbot – es war ihm, als dürfe man eine Epiphanie nicht versuchen, indem man sie von vorn und hinten begaffte wie ein Händler ein Stück Vieh -, so hatte das mit ihrer Gesichts- und Körperbildung rein gar nichts zu tun.
Die Baroness war eine Frau, gewiß doppelt so alt wie er oder doch kaum weniger, er war unfähig, eine weitergehende Beschreibung von ihr zu geben. Dennoch war sie es, ganz eindeutig sie, die ihn so verstörte.
Es war, genauer gesagt, der Kontrast zwischen ihrer weißen Haut und ihrer bläulich getönten Perücke und den dazu passend lackierten Nägeln und ummalten Augen. Der Eindruck war so schlagend künstlich und maskenhaft, daß er Theodors Fantasie ungleich mehr erregte, als hätte sie sich ihm nackt gezeigt. Er mußte an die mechanischen tanzenden Püppchen im Kabinett Madames denken, die er, fasziniert von dem Geheimnis in ihrem Innern, stundenlang betrachten konnte.
Er wußte nicht einmal, ob die Dame, die kichernd mit anderen Ehrenjungfern in der offenen Equipage saß, ihn überhaupt gesehen hatte, und eigentlich war es ihm auch ganz gleichgültig. Aber diese weißblaue Porzellanmaske war entschieden verheißungsvoller als aller männliche Geist von Monsieur de Cheisseux.
Die ersten Fortschritte, die Theodor im Verständnis des minoischen Palastes machte und die ihm halfen, seiner verzagten Verwirrung langsam Herr zu werden, waren geographischer Art. Auf seinen Botengängen, bei den Spionagediensten im Auftrag Madames sowie den Ausflügen durch das Anwesen in ihrem Gefolge fühlte er sich wie ein in die Ferne Verschlagener, der die Wunder des fremden Kontinents nur nickend quittiert und, ganz aufs Überleben und die glückliche Heimkehr konzentriert, nicht ans Verstehen, Einordnen oder Klassifizieren denkt, jedoch wurde ihm der Plan der Örtlichkeiten durchsichtig.
Er fand heraus, welcher Eingang von der Hof-, welcher von der Parkseite am schnellsten in den Flügel Madames führte. Er prägte sich die Anordnung ihrer Zimmerfluchten und Kabinette ein. Er erkundete den Bereich Monsieurs
Vorzimmer für Vorzimmer. Er grenzte im Geiste den dem König reservierten Teil des Schlosses ab. Er durchforschte die »Kloake«, die enge Welt der Höflinge, mit all ihren Treppchen, Durchgängen und Arkaden. Er machte sich die Anordnung der Wirtschaftsgebäude klar, dieses lärmenden, nach hundert Gerüchen stinkenden, wimmelnden Orkus voll hart arbeitender Tischler, Zimmerleute, Schmiede, Stukkateure, Maurer, Köche, Bäcker, Gärtner, Schreiber, Aufpasser, Näherinnen, Spinnerinnen, Weberrinnen – all jener Gesichts- und Namenlosen, die die Welt von Versailles ermöglichten.
Er studierte Le Nôtres Plan des Parks, erforschte die Wege zum Trianon oder zum Potager du Roi, lernte spielerisch, welches Fenster zu welchem Saal oder Kabinett gehörte, und nach einigen Monaten in Versailles hatte er einen perfekten Begriff von der Verpackung, wenn auch noch immer keinen von ihrem Inhalt.
Die Hierarchien, Intrigen, die ungeheure Menge an wichtigen, scheinbar wichtigen und unwichtigen Leuten, all das blieb ein Buch mit sieben Siegeln.
Immerhin dämmerte ihm, welch ein Informationsmarkt der Palast war: Das Zuhören und heimliche Horchen, das Weitersagen, Ausplaudern, Fortspinnen, Verschweigen von Gerüchten, Gesprächen, Unterredungen und Unterhaltungen war auf allen Ebenen und Zuständigkeiten eine der eifrigst verfolgten Tätigkeiten, nur sagten ihm die Themen nichts, um die die Gespräche sich drehten, ebensowenig wie die Anspielungen auf politische Entscheidungen, diplomatische Vorstöße, Feldzüge, Belagerungen und Verhandlungen, das Geschacher um Posten und Ämter, den Ärger in Paris und der Provinz, noch auch all
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