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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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seine kleinen, wimpernlosen, unter den Wülsten der gewölbten Stirn geborgenen blauen Augen strahlten vor Bewunderung, das ist sie: die Leibniz’sche Staffelwalzen-Rechenmaschine! Das einzige Exemplar in Paris. Warte, ich zeige dir, wie sie funktioniert.
    Man hätte seinen Bauernhänden soviel Zärtlichkeit und Behutsamkeit nicht zugetraut. Sanft berührte er die Maschine, hob sie hoch und ließ Theodor darunter blicken. Und dann begann er zu erklären, und während die Erregung angesichts der geistigen Spitzenleistung, die er seinem Freund nahebringen wollte, einen feinen Schweißfilm auf seinem roten Stirngebirge entstehen ließ, über dem das flaumige Blondhaar von jedem Luftzug aufgeweht wurde, fragte Theodor sich, ohne recht zuzuhören, wie man sich für eine Idee, in diesem Fall einen zu Kastenform geronnenen Gedanken, derart begeistern konnte.
    Das ist die Zukunft, schau sie dir gut an.

    Nun ja, sagte Theodor, Pascals Satz über die Seiten eines Rechtecks in einem Kegelschnitt wird sich mit so etwas aber wohl nicht beweisen lassen. Dafür braucht es nach wie vor den menschlichen Geist.
    Sternhart sah ihn mit einem Ausdruck von Enttäuschung an, die Theodor der Beschränktheit der Maschine zuschreiben wollte, und reckte das Kinn in einer unbewußt herausfordernden Weise. Seine Züge bekamen etwas zugleich Kriegerisches und Verächtliches, als blicke er, durchdrungen von seiner Sendung, dem gewappneten Gegner der wissenschaftlichen Rätsel direkt ins Auge, meilenweit über die Tändler erhoben, die ihn nicht kannten und sich von der Glorie der bevorstehenden geistigen Schlacht kein Bild machten.
    Theodor wußte, daß der mittellose Student mit einem Italiener korrespondierte, einem Marchese, um mit ihm oder gegen ihn eine weiterentwickelte Form dieser Rechenmaschine zu konstruieren; er erinnerte sich an das häßliche Wort »Sprossenrad«, das ihm ebenso unverständlich und gleichgültig war wie »Staffelwalze«.
    Aber in seine aufkeimende Verstimmung hinein, in diesem Augenblick von dem Freund, auf den er doch normalerweise mit guten Gründen und in aller Freundschaft ein wenig herabsah, nicht für voll genommen zu werden, sagte er sich, daß Sternhart ihm mit dem Besuch hier ein Geschenk machte, ein sehr großes, er, der kein Geld und keinen Geschmack oder Sinn für andere Geschenke hatte, indem er ihn das Objekt seiner Leidenschaft schauen ließ. Theodor mußte sich ein wenig mitfreuen, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, der andere hätte ihn auf ein Glas Wein eingeladen, anstatt in diese staubige Kammer.
    Denn Jakob Sternhart war der einzige Freund, den er gefunden hatte, seit er neuerdings zeitweise in Paris lebte, im Faubourg St. Antoine, dem Viertel der Ebenisten, und obwohl er sich lieber Beschäftigungen widmete, die ihm
Vergnügen bereiteten, mißtraute Theodor doch dem Wert all dessen, was ihm gar zu einfach von der Hand ging, und glaubte an die moralisch und geistig stärkende und bessernde Kraft von gelegentlicher Selbstdisziplinierung durch Langweiliges und Qualvolles.
    Da er noch immer seinen monatlichen Wechsel von Mortagne erhielt und noch nicht an die drohende Zukunft als Soldat zu denken brauchte, hatte er sich ein möbliertes Zimmer in Paris genommen und hospitierte ein wenig in der Sorbonne, um seine Bildung zu vervollkommnen.
    Eigentlich ging es ihm kaum um Vervollkommnung, eher um ein Betäuben seines schlechten Gewissens, sein Leben womöglich als zweitklassiger précieux zu billig zu verkaufen.
    Jakob, dem Handwerkersohn, imponierten das gewählte Wort und das nonchalante Auftreten des westfälischen Barons, der wiederum mit einer Mischung aus Grauen und Bewunderung in seinem Freund einen Gelehrten erkannte, der kein verknöcherter Greis war, sondern ein junger Mann wie er selbst. Dem Denken und Wissenwollen gab man sich also offenbar nicht nur, war das Leben vorüber und der Leib impotent, als einer Art Selbstbestrafung hin, sondern es konnte von Jugend an gelernt und praktiziert werden. Ein Spaß war das freilich nicht, und Sternhart ließ keinen Zweifel daran, daß es ihm um Spaß auch nicht zu tun war.
    Jakob, dachte Theodor grübelnd, ist belesener als die meisten Gelehrten im Palast, und doch käme ich nie auf den Gedanken zu sagen, er hätte Geist. Hat Geist also etwas mit Mühelosigkeit zu tun, und was ist von Kenntnissen zu halten, die erschwitzt sind?
    Aber erschwitzt oder nicht, Sternharts Kenntnisse waren enorm, und Theodor, der sich immer für belesen gehalten hatte,

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