Der König Von Korsika
Geplauder, das sich selbst in Worten, in einem Ton Definieren, erforschte die Grenzbereiche dieser redegeregelten Welt, die dem Flickenteppich im Osten des Landes glichen, die Halbinseln und Besitzstandswechsel zwischen dem gebotenen, dem erlaubten, dem tolerierten und dem unmöglichen Wort.
Sein Mangel an Gewißheiten und Meinungen machte Theodor zu einem guten Zuhörer, einem tiefen Gefäß ohne Deckel, in das alles mögliche fallen konnte, womöglich aber auch, wie er sich selbst zweifelnd fragte, zu einem ohne Boden.
Denn je mehr er erfuhr von den Verhältnissen des Palastes, der Stadt, des Landes, desto weniger Sicherheit zog er daraus: Alles schien ihm gleich gerechtfertigt, gleich wichtig und gleich faszinierend, und nach einiger Zeit gleich beliebig. Das heißt, er lernte unter der Hand die Ironie: den wohlwollenden Zweifel an der Einzigartigkeit aller Dinge, der das Ergebnis des tiefsten Zweifels an sich selbst ist.
Die erste Gelegenheit, selbst den Mund zu öffnen, ließ er nicht ungenützt verstreichen. Der Herzog von Orléans, Madames Sohn, echauffierte sich bis zur Weißglut über ein höhnisches Papier aus Paris, gegen das er immer wieder mit der flachen Hand schlug, nachdem es einmal die Runde gemacht hatte.
Was sagen Sie dazu? rief er die Umstehenden an. Was erlauben diese Leute sich? Halten sie sich denn für kompetenter als den König?
In die Stille hinein sagte Theodor: Tintenflecke auf
einem Rattenfell machen daraus noch keinen königlichen Hermelinpelz.
Wie? fragte Philippe verwirrt. Sagen Sie das noch einmal!
Theodor wiederholte sein improvisiertes Sätzchen.
Das ist ja großartig! rief der Herzog. Tintenflecke auf einem Rattenfell? Ganz köstlich! Und er wandte sich an seinen Sekretär: Verbreiten Sie diesen Satz als meine Antwort! Sie haben doch nichts dagegen, junger Mann?
Theodor verneigte sich: Es ist Ihre Antwort. Ich habe sie Ihnen nur vorwitzigerweise von den Lippen gelesen...
Es fiel ihm auf, welch tiefen, lebensrechtfertigenden Genuß ihm der Applaus bereitete und wie geschmäcklerisch sich dennoch sein Mund verzog, wenn er nicht weiter nennenswerten Leistungen gezollt wurde. Manche der jungen Höflinge und précieux neideten ihm seine Nähe zu den Höchsten und nannten ihn einen Liebediener und Intriganten. Aber sie täuschten sich in ihm. Er konnte einfach gut mit der Herzogin, deren mütterliche Strenge es ihm angetan hatte und die im übrigen so gar keinen Einfluß auf den Gang der Dinge besaß. Es wäre ihm viel zu anstrengend gewesen, den ganzen Palast nach einem auf seine Zwecke zugeschnittenen Gönner zu durchforsten, die Pfälzerin war nur einfach dagewesen, wo er sich auch befand, und er bestätigte ihre Überzeugungen ebenso leichthin wie die eines jeden anderen.
Als Theodor dem Pagenalter entwuchs, legte seine Herrin ihm nahe, sich eine Wohnung in Paris zu nehmen und ab und zu Bericht zu erstatten, was geredet werde in den Salons und Cafés.
Theodor dachte nach. Die Kapitale, die »Stadt«, wie sie kurzerhand genannt wurde im Gegensatz zum »Schloß«, zwei Stunden Wegs durch lichte Wälder entfernt und vom Fluß sich bis zu den sie umgebenden Hügeln dehnend, war ein Aspekt, den er bislang sträflich vernachlässigt hatte.
Sei du mal nicht so eingebildet, weil du in diesem Vogelbauer sitzt und ein bißchen mitzwitschern darfst, hatte ihn ein Kollege belehrt. Die Adler und Bussarde leben in Paris. Ich bin da zur Schule gegangen. Der König kann noch so sehr versuchen, der Stadt das Rückgrat zu brechen, es wird ihm nicht gelingen. Das Leben findet dort statt. Auf den Faubourgs, in den Salons und Cafés. Alle wichtigen, alle richtigen Menschen schwören auf Paris. Da wird gedacht und gehandelt, nicht hier in dieser Theaterkulisse.
Ich weiß nicht, sagte er. Ich würde Versailles ungern verlassen.
Erwachsen werden heißt verzichten lernen, Theodor, antwortete die Herzogin.
Nun ja, wir wollen einmal sehen, sagte er.
Fünftes Kapitel
Sie waren in ein Kabinett der Universität getreten, zu dem Theodor, wie er pikiert feststellte, nur in Begleitung Jakob Sternharts Zutritt hatte. Auf dem Tisch vor ihnen stand der ominöse Apparat zwischen brennenden Kerzen wie eine Monstranz.
Theodor blickte gelangweilt auf den Kasten mit den verschraubten Holzpaneelen, einer Art durchbrochenem Zifferblatt, Walzen und einer Eisenschiene auf vier Kupferfüßen, auf der sich der mit zahlreichen Zugringen versehene Gerätekörper hin- und herschieben ließ.
Das, sagte Jakob, und
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