Der König Von Korsika
Umarmungen eine Art von verzweifelter Schwere und Dringlichkeit verlieh, von fordernder und sich hingebender Leidenschaft, die sie von anderen Frauen unterschied, deren Erfahrungen ebenso reich gesät waren, die ihr Instrument aber ganz im Takt mit dem Augenblick spielten.
Auf diesem düsteren Untergrund des tempus fugit jedoch war die Liebe der Valentini taghell und von praktischen Erwägungen geleitet. Sie mochte Sichtbarkeit, Deutlichkeit, Bewußtheit, wachen Austausch und Erfüllung, die Zärtlichkeiten setzten bei ihr, von erklärlichen Ausnahmen abgesehen, nicht die Unterhaltung außer Kraft, sie wußte um die erotische Macht der Benennung, die ja ursprünglich eine Beschwörung ist. Die Namen, die sie den Dingen und Vorgängen gab, unterstützte ihre Körpersprache, die das durchs Wort ins Leben Gerufene sofort auf seine Beschaffenheit hin befühlte, und siehe, es war gut.
Bei einem Maskenspiel trieb sie Theodor unter dem Gekicher der anderen jungen Damen und Herren zielsicher in eine Sackgasse des Hainbuchenlabyrinths und nahm ihm erst dort die Binde von den Augen, worauf er ihre blaue Perücke und ihre große, geometrisch aus lauter Dreiecken zusammengesetzte Nase so dicht vor sich sah, daß an Flucht oder Ausflüchte nicht mehr zu denken war.
Er wußte sich in diesem Augenblick weit von jeder Erregung, das Ganze war zu öffentlich, man konnte die anderen hören, die wußten, wo man steckte, und womöglich das Bevorstehende behorchten, und Theodor schien die Liebe doch Geheimnis, Verschwiegenheit und Verschleierung zu verlangen. Außerdem war es zu hell, und die blauen Augen der Valentini blickten so gar nicht verschwommen oder verklärt, sondern wach, neugierig und konzentriert, wie es angemessen sein mochte, wenn man ein logisches Problem studierte, aber gewiß nicht, wenn es ins Nebelreich der Körper hinabging, dem man sich, dachte Theodor, nur mit geschlossenen Augen und Ohren, halb schlafend und träumend nähern sollte.
Auch ähnelte dieser Moment fatal einer Prüfungssituation, wie Theodor sie nie geschätzt und immer umgangen hatte, er wollte nichts beweisen und lernen müssen, sondern alles zugleich besitzen und bereits hinter sich haben. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut, und als die Valentini, die den Braten schnell roch, das Heft der Konversation in die Hand nahm, erstarrte er, seine Beine gaben nach, und er sank zu Boden, und genau dort wollte seine Freundin ihn haben.
Nun möchte sie ihn aber auch einmal sehen, sagte die Blauhaarige, was Theodor zunächst nicht verstand, da sie ohnehin nur eine Handbreit von ihm entfernt im hellen Sonnenlicht kniete, aber ihre fliegenden Finger an seinen Kleidern, von seinen eigenen Händen halb verscheucht, halb unterstützt, ließen ihn rasch begreifen. Er klammerte sich an die Unterhaltung, als sei sie das Eigentliche und Ursprüngliche, die Rechtfertigung ihres Beisammenseins, und als müsse er mit ruhigen Worten einen Erregten oder Betrunkenen davon abhalten, einen Skandal zu verursachen.
Schließlich ergab er sich in die Situation und versuchte, den Geschehnissen immer einen Wimpernschlag hinterher, das, was er sah, fühlte, hörte und dachte, zu ordnen, um in
seiner fortschreitenden Verwirrung einmal »Jetzt« sagen zu können und zu wissen, ob eine, und wenn ja, welche Empfindung zu diesem »Jetzt« gehörte.
Die weißen, weich nachgiebigen Schenkel der Valentini waren umhüllt von der Gaze ihrer Strümpfe, die irgendwo unter dem Geraschel des Kleids abrupt endeten und an einem filigranen Tauwerk aufgehängt waren, miniaturisierten Wanten, die die Korsaren seiner Lust, das Messer zwischen den Zähnen, hinaufenterten, dann aber ließ ihn eine mehr zu ahnende als zu fühlende Wärmequelle innehalten, er zog sich zurück und griff in klassischer Übersprungshandlung nach ihrer großen, langen, ebenso weißen und sommersprossigen Nase. Sie schüttelte seine Hand unwirsch ab, faßte sie herrisch ums Gelenk und führte sie resolut wieder dorthin, wo sie sich unterbrochen hatte.
Dieser Griff erinnerte ihn daran, wie die Hand seiner Mutter, als er schreiben lernte, seine, den Federkiel haltende, ruhig und fest geführt hatte und wie die gemeinsame Bewegung schwarze Kalligraphien und Arabesken aufs Papier zauberte, die Theodor zutiefst faszinierten. Zugleich mußte er angesichts des ockerblonden Haars der Baroness, die ihre Perücke in die Hecke geworfen hatte, unwillkürlich an die Felltönung der im Abfall des Aligre-Marktes schnüffelnden
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