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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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theologischen Dichter und zitierte sie ausgiebig – und das genügte ihm. Wohingegen Zinzendorf Lektüre als Aufforderung zu Tat und Veränderung begriff. Sein Freund Nikolaus hatte die Bibel gelesen, und diese Erfahrung erheischte, um es mit seinem Lieblingswort auszudrücken, eine Reaktion. Und zwar eine, die übers Privatleben hinausging. Nein, nicht nur eine Reaktion, eine Revolution. Etwas die Welt und Gesellschaft Veränderndes und Voranbringendes, wobei es sich erstaunlicherweise wie von selbst verstand, daß das eigene erfüllte Leben beispielgebend sei für alle anderen.
    Das machte es an gemeinsamer Tafel ein klein wenig schwierig, den von Theodor bevorzugten Konversationsstil durchzuhalten, ein geläufiges Parlando, bei dem man zwischen den Bissen und Schlucken Aktuelles ansprach, um sich informiert zu zeigen, dessen Wichtigkeit mit einem Bonmot sogleich relativierte, über Lektüre plauderte, wobei nicht die Lektüre, sondern ihre Schilderung geistreich zu sein hatte, über abwesende Bekannte mit freundlichspitzzüngigem
Spott herzog, dem genossenen Mahl durch schön gewählte Worte Ehre erwies und ansonsten nicht pedantisch bei einem Thema und einer Meinung – vor allem nicht der eigenen – kleben blieb.
    Gewiß, es mangelte Nikolaus und Dolly weder an Bildung, an Geist noch an Freundlichkeit – im Gegenteil, von Letzterer war vielleicht sogar zuviel da, die Freundlichkeit des Grafen war überbordend, allen zugewandt und enthusiastisch vereinnahmend, und oft genug äußerte sie sich in Tränen, was Theodor bei Tische besonders widerwärtig war. Dabei waren diese Tränen nur das Überlaufen einer gotterfüllten Seele, aber für den Baron lag genau hier das Problem: Solange Gott diese Seele füllte, war auch im Körper für nichts anderes Platz, und geriet Zinzendorf ins Lobpreisen, ins spirituelle Extemporieren, wurden die Kartoffeln kalt und der Zander matschig.
    Du bist zu kritisch, meinte Jane. Es ist eben ein Elan zu Gott hin, der ihn und sie alle beflügelt. Es ist die Frische und der Überschwang der Anfänge. Der Drang nach einem Durchbruch zu noch größerer Reinheit. Denk daran, daß seine Glaubensbrüder ringsumher noch immer verfolgt werden. Erinnere dich an die katholische Bleikammer Spaniens. Und findest du nicht, daß es etwas Beneidenswertes hat, dieses Sich-völlig-auf-eine-Spur-Werfen, diese jugendliche Liebe zu Gott?
    Gewiß, gewiß, sagte Theodor. Und ich schätze ihn ja auch, aber es ist dennoch wahr, daß einer sehr selbstgewiß in seinem Leben, in seinen Überzeugungen, ja, letztlich wie in einer alten Rüstung in seinem Körper stehen muß, um mit so wenig Selbstironie zu sprechen und zu handeln. Und zu richten! Weißt du, es gibt Bruderküsse, die scheiden die Hierarchien strenger als Stockhiebe.
    Du bist überfeinert, Big Cat .
    Mag sein, aber wer nicht an sich zweifelt, weiß nichts von den Nuancen des menschlichen Herzens.

    Warum sollte er übrigens nicht selbstgewiß in seinem Körper stehen? sagte Jane. Dieser Körper ist nicht häßlich...
    Theodor verzog seinen Mund zu einem Lächeln.
    Wollte sie doch nicht über Körper reden! Wie bei Orpheus und Eurydike hing alles davon ab, sich nicht umzudrehen. Ganz so wie seine Mutter in früherer Zeit den Hunger hatte fortschweigen wollen, schien es Theodor heute der Preis ihres Glücks, jede Thematisierung der Erotik zu vermeiden, es sei denn, Zinzendorf streifte das Gebiet in einem seiner Sermone, da war es so absurd, daß man darüber lachen konnte.
    Dabei liebte und achtete er Janes Leib jedes Jahr mehr, genoß den Anblick seiner schlanken Elastizität, freute sich am Neigen ihres Kopfs, an der Haltung ihrer Arme, betrachtete voller Rührung das langsame, gelassen ertragene Werk der Zeit auf ihrer Haut, und je tiefer seine Kenntnis dieser Form und Hülle wurde, ihres Geruchs, ihrer kleinen Leiden, ihrer Empfindlichkeiten, desto mehr wuchsen sein Zartgefühl und seine Achtung und desto mehr versiegte das Begehren.
    Ihn selbst störte das so wenig, wie der Schiffer, der endlich in ruhigem Wasser treibt, sich nach den Stromschnellen zurücksehnt.
    Denn es war ein seltsames Ding, über das er oft grübeln mußte: Daß das Schamgefühl gegenüber dem anderen zugleich mit der Liebe wuchs, anstatt abzunehmen.
    Das laute, vulgäre Lachen auf dem Tisch war nur noch ein fernes Echo im Nebel der Vergangenheit, ebenso wie die Hemmungslosigkeit der ersten Tage, das chiliastische Sich-Gehen-Lassen, das an keine Zukunft glauben

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