Der König Von Korsika
war es straff zurückgekämmt. Überwältigt von Zärtlichkeit, blickte Theodor auf diese in den warmen Kastanienton gewirkten Silberfäden. Auf ihrer Schläfe verlief unter der dünnen Haut eine bläuliche Ader. Seine schwarze Madonna. Er stand noch einmal seufzend auf und ging hinaus.
Der bestirnte Himmel zog ihn an wie ein tiefer Brunnen, über dessen Rand er blickte. Auf dem unteren Ende des Geländers saß, graziös und hochaufgerichtet wie ein Wappentier,
Fry, und blickte aufmerksam in die Dunkelheit. Ohne ihn nach seiner Meinung zu fragen, griff Theodor ihn unter dem Bauch und trug den strampelnden und kratzenden Kater zurück ins Haus, schloß die Tür mit der Schulter, ließ mit dem Ellenbogen den Riegel ins Schloß fallen und setzte Fry ab. Der fauchte ärgerlich, trippelte dann aber mit aufgerichtetem, flammenzüngelndem Schwanz Theodor voraus, sprang auf einen Sessel im Salon, putzte sich, drehte sich zweimal um sich selbst und rollte sich zum Schlafen zusammen.
Einen Moment lang in der Tür stehend, bevor er sich wieder neben seiner Frau niederließ, nahm Theodor den friedlichen Anblick, der sich ihm bot, in sich auf.
Glück ist eine Perfektion von Bildern, die einen Moment lang harmonisch zusammenschwingen. Ein schmerzhaftes Aufblitzen des »Nu« und damit zugleich der Wunsch nach Stillstand und in der Flamme der Fülle der blaue Kern der Trauer über das Dahinschwinden des Augenblicks. Die Zukunft ist der Feind des Glücksmoments, obwohl sie seine Schöpferin ist.
Fühlt man sich dagegen unglücklich, dachte Theodor, schrumpft die Perspektive auf das Jetzt zusammen, man rollt sich gegen die Zeit wie ein verteidigungsbereiter Igel zusammen, um weniger Angriffsfläche zu bieten und kämpft sich vorwärts. Man hat seine stärksten vitalen Antriebe im Unglück.
Weißt du, woran ich denke? fragte Jane. An die Musik des Kantors Bach. Erinnerst du dich an jene Kantate »Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust«? Ich sage mir manchmal, das ist es, was Zinzendorf immer sucht und nie findet, nie finden kann...
Was, die vergnügte Ruh’?
Nein, ich meine das, was diese Musik mit dir tut und keine noch so guten Worte erreichen können.
Theodor erinnerte sich des Eindrucks, den die Töne des
Leipzigers auf ihn gemacht hatten, und beim Versuch, diesen Eindruck in Worte zu fassen, mußte er plötzlich an die weit zurückliegenden ersten Tage in Madrid denken, als er fiebernd im Bett gelegen hatte: Larbi hockte bei ihm auf einem Stuhl und vertrieb sich die Zeit mit einem Geduldsspiel. Es ging darum, durch Drehen und Kippen der Oberfläche eines Holzkästchens Jademurmeln in dafür bestimmte Löcher zu bugsieren, und Theodor erinnerte sich daran, wie er im Fieber das endlose Klicken und Klacken der übers Holz rollenden Murmeln gehört hatte und Larbis Atem und geglaubt, er müsse sterben, gelänge es seinem Diener nicht, endlich Ruhe und Stille zu schaffen.
Und ganz so, als wären sein Hirn und seine Seele dieses Brett voll umherrollender Murmeln, die die Musik in ruhigen, klaren Bewegungen an den ihnen gemäßen Ort lenkte, hatte er damals St. Thomas verlassen.
Gehen wir schlafen, sagte er zu seiner Frau.
Zweiter Teil
»La speranza è quella sola che consola ogni meschino già vicino a disperar.«
Casti, Il Re Teodoro in Venezia
Elftes Kapitel
Der kaiserliche Gesandte überquerte den Ponte Vecchio und schlenderte auf die Signoria zu. Die kleinen Wölkchen hoch oben am blauen Himmel wirkten wie vom Grund eines klaren Meeres aus betrachtete Nachen und Gondeln an der Wasseroberfläche.
Die besonnten Fassaden glänzten elfenbeinmatt, auf den Plätzen flimmerte es wie über Wüstensand, und sie reflektierten die blendende Helligkeit, so daß das Auge beim Blick in Arkaden und Toreingänge erblindete und nur körnige, blaustichige Anthrazitflecke wahrnahm und die Stadt wie ein bizarres Schachbrett aus Lichtquadraten und schwarzen Löchern empfand.
Theodors Blick, den ein leerer Magen hungrig machte, schnappte nach den Menschen am Wege, den Wasserträgern, Obstverkäufern, Boten, Händlern, flanierenden Damen und Herren und Handwerkern in ihren offenen Höhlen. Es roch nach Kaffee und Jauche, und aus den Arkadenbögen leckten graue Wasserzungen auf das Pflaster, und man hörte das Geschrubbe von Besen. Das Plätschern ausgeleerter Eimer mischte sich mit dem feinen Säuseln der Springbrunnen.
Quer über die Signoria fiel der Schatten des Campanile wie ein ausgestreckter Zeigefinger, der auf Theodor deutete. Der
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