Der König Von Korsika
darf.
Erinnerte er sich mancher Dinge, die sie noch in London miteinander getan hatten, so stieg ihm die Röte ins Gesicht, als hätte er ein fremdes Paar überrascht, und er sagte sich, daß er zu dergleichen heute nicht mehr fähig wäre. Wie
sollten Menschen, die einander vertrauten, derartige Indiskretionen mit ihrem eigenen und dem fremden Körper begehen und sich zugleich in Liebe und Achtung in die Augen sehen ein Leben lang? Denn Selbstachtung und Lust, Dauer und Lust, Liebe und Lust, dies war Theodors seltsam traurig stimmende Erkenntnis, gehen im Letzten und Tiefsten nicht zusammen.
Jane blickte erwartungsvoll auf seinen lächelnden Mund, da schürzte er die Lippen und sagte: Ich fürchte nur, dieser Körper ist schon vergeben...
Wie...? Aber natürlich. Um Himmels willen! Ich wollte ja auch nicht sagen, daß...
Du irrst. Ich rede nicht von Dolly. Ich meine, er ist unserem Herrn Jesu Christo geweiht.
Jane schüttelte lachend den Kopf: Du bist und bleibst ein Närrchen, Big Cat .
Dieses Lachen war von der Art, in die er einstimmen konnte.
Was übrigens die Körper betrifft, so war nicht zu verhehlen, daß Theodor seinen eigenen in den Berthelsdorfer Jahren etwas vernachlässigte: Zunächst einmal hatte er sich abgewöhnt, das lästige Korsett zu tragen. Zu träge, sich täglich von Larbi rasieren zu lassen, der unter der Hand mehr und mehr zu Janes Diener wurde – da gab es einfach mehr zu tun -, ließ er sich einen Bart stehen, der nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit gekämmt und von Speiseresten gereinigt wurde. Auch der Kleidungsstil englischer gentry fiel mittlerweile an manchen Tagen ins eher Bäuerliche ab, sowohl was die Gewänder selbst betraf, die er anlegte, als auch ihre Sauberkeit.
Waren seine nicht sonderlich zeitraubenden Tagespflichten als Gutsherr und Gemeindemitglied beendet, die Besuche bei den Bauern zur Schafschur, das Abstecken zu fällender Bäume, ein Ritt zur Sägemühle, die gemeinsamen Bibelstunden und Bußrunden, saß Theodor gerne – wenn das
Wetter es zuließ, bei offenem Fenster – in seiner Bibliothek und widmete sich der Lektüre und Korrespondenz. Durch seine anfängliche diplomatische Tätigkeit hatte der Briefwechsel überhand genommen und ersetzte Theodor mittlerweile die Reisen quer durch Europa. In einem einzigen Berthelsdorfer Jahr schrieb er mehr als in seinem ganzen vorangegangenen Leben und wartete auf eintreffende Briefe, Bücher- und Zeitschriftensendungen wie ein Verdurstender.
Er hatte den »Spectator« subskribiert, den »Patrioten«, er las Pamphlete, die ihm aus Paris zugeschickt wurden, ließ sich Popes Essay on Man kommen, studierte die alljährlich erscheinenden neuen Lieferungen von Brockes »Irdischem Vergnügen in Gott«, las fasziniert Reimarus’ »Thriebe der Tiere« und besaß ein schön gebundenes und vom Verfasser Mattheson persönlich signiertes Exemplar seines Romans »Des Ritter Ramsay Reisender Cyrus«.
Mit Zinzendorf, der selbst literarische Ambitionen hegte und an lyrischen Gebetstexten und Liedern feilte, die er bei Tisch verzückt vortrug, war, da der frischgebackene Autor keine anderen Autoren neben sich gelten ließ, kein Austausch über diese Lesefrüchte möglich. So blieb nur der Dialog mit den Verfassern selbst, sofern sie noch lebten und korrespondieren wollten, und natürlich mit Jane, die auch die einzige war, mit der er über das Gelesene herziehen konnte. Welch ein Genuß, ab und zu die Zügel der geistigen Reinheit, der christlichen Moral und der Wortwahl, die in Herrnhut sehr kurz gehalten wurden, schießen zu lassen und sich in Sarkasmus, Frechheit, Ungerechtigkeit, Spott und überspitzter Nachahmung zu ergehen, um sich in befreiendem Gelächter den Staub der humorlosen Gesittung aus den Kleidern zu klopfen.
Einen Mann fand Theodor einen Abend lang, mit dem ebendies auch möglich war, so wie es früher unter anderen, leichtlebigeren Himmeln jeden Tag möglich gewesen war, und zwar in Hamburg.
Wenn Theodor und Jane Reisen unternahmen in diesen Jahren, dann hauptsächlich um der Musik willen. So wie sie in der Dresdner Oper die Bordoni gehört, in London, wann immer Geld da war, in der Royal Academy of Music Händels neuen Werken gelauscht hatten, »Radamisto«, »Ottone« oder »Alessandro«, fuhren sie auch nach Hamburg und begegneten dort, anläßlich der Aufführung von »Pimpinone«, einer sahnigen, wie ein Hochzeitstörtchen mit Guß und Baiserhütchen verzierten Opera Buffa, dem Meister selbst, der nicht
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