Der König Von Korsika
seidenen Umhang, kurze, runde Kinderfinger streichelten seinen Nacken, seinen Rücken, seine Halsbeuge, seine Arme und Handteller.
Es war nicht so, wie wenn eine Frau einen liebkost, die Berührungen erkundeten seinen Leib wie Tiere. Wie Würmer einen Kadaver, dachte er. Man mußte kein Mann mehr sein wollen, um hier seine Befriedigung zu suchen.
Wo ist mein Wagemut, dachte Theodor und spürte, wie seine Muskeln sich abwehrend spannten, wo sind meine Neugierde, Lebenslust, Jugend? Bin ich wirklich ein solcher Eunuch geworden, eine träge Qualle, ein ausgebluteter Greis, der mit dem Leben abgeschlossen hat?
Er sprang auf – die Gestalten wichen in den Schatten zurück -, kleidete sich an, zahlte, schüttelte den Opiumrauch aus seinem Kopf, verließ das Haus, atmete die milde Nachtluft in tiefen Zügen ein und befahl dem Kutscher, zum Palazzo der Bankierswitwe Malerba zu fahren. Es war zwei Uhr nachts? Egal. Das Bedürfnis, sich zu versichern, daß er ein Mann war, duldete keinen Aufschub.
Zwölftes Kapitel
Irgendwann im Laufe der zahlreichen Ratssitzungen, wie man die Zusammenkünfte der hilfesuchenden korsischen Unabhängigkeitskämpfer bei Theodor mittlerweile nennen mußte, war das Wort gefallen, es stellte sich sogar heraus, daß die Freischärler bereits bis zu den von Dr. Costa redigierten Skizzen zu einer Verfassung gediehen waren: Unabhängigkeit.
Es war eines der Worte, deren weithallender, anspielungsreicher Klang Theodor inspirierte, und ohne noch weiter zuzuhören, umspann er es mit einem dichten Kokon eigener Gedanken. Unabhängiges, freies, selbstbestimmtes Korsika.
Wie ein Sternschnuppenregen in einer mondlosen Augustnacht leuchteten die Assoziationen vor seinen Augen auf. Die kritischen Salongespräche der Philosophen. Ihr lächerliches Bemühen, Dienst und Brot von den Verachteten zu erbetteln. Die hohen Traditionen der Loge. Theorie und Praxis, Montesquieu, Jacob Cats. Die politische Großwetterlage. Genua, Spanien. Savoyen, Wien. Nicht zu vergessen die Engländer. Und Fleurys Interessen. Wir brauchen jemanden, der uns eint.
Woran denkt Ihr, Don Teodoro?
An das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Eine noble, eine große Idee...
Giafferi blickte ihn an, als erwarte er ein erlösendes Wort.
Theodor versank wieder in Gedanken. Es war ein Schachspiel.
Vierundsechzig Felder und zweiunddreißig Figuren und ein mathematisch logisches Planen. Übersicht bis zu den Flanken und in die Tiefe des Schlachtfeldes. Erschlaffend gestand er sich ein, daß er dazu nicht fähig war. Nur dort, wohin sein Blick, seine Phantasie leuchtete, war alles scharf, die Ränder verschleierten, verdunkelten sich.
Es war ein Schachspiel, und er war ein Kartenspieler. Seine Vernunft, die mangels Übersicht nichts anderes war als Angst und Scheu, riet ihm zum Passen, sein Temperament zum Bluffen, aber wie bluffte man beim Schach?.
Andererseits war da das Wort, noch immer: Unabhängigkeit, Freiheit. Ein großer Gedanke. Eine große Aufgabe, an der er wachsen würde und die zu seiner eigenen Familiendevise paßte: Ubi libertas, ibi patria . Oder ergriff sein Ehrgeiz den erstbesten Gegenstand und redete ihn so lange schön, bis er ihm würdig schien?
Wachtendonk und seine Truppen hatten Korsika verlassen. Auf der Insel tobte von neuem ein Rebellenkrieg, und das unwirtliche Bergland war zu weiten Teilen in der Hand der Aufrührer.
Dieser Verfassungsentwurf, das sind schöne und große Worte, sagte Theodor, aber sie bleiben Papier und graue Theorie, solange keiner Tatsachen schafft. Wissen Sie überhaupt, welch strategische Bedeutung Korsika im Mittelmeerraum haben könnte? Glauben Sie nicht, daß zum Beispiel eine Elisabeth Farnese das Angebot, Bastia zum spanischen Flottenstützpunkt zu machen, mit Gold aufwiegen würde?
Don Teodoro, klagte Giafferi, wir sind wie fähige Glieder, denen der Kopf fehlt, der entscheidet, wann die Hand zum Griffel greift, um große Worte niederzuschreiben, und wann sie sich zur Faust ballt. Sie mit Ihrem Wissen und Ihrer Erfahrung müssen uns helfen und beraten und uns diesen Kopf ersetzen.
Ihr benötigt keinen Helfer und Berater, dem ihr zuhört,
solange er euch nach dem Mund redet, und dem ihr davonlauft, wenn er euch fordert. Ihr braucht auch mehr als einen Handelsminister oder Söldnerchef. Was euch Not tut, ist ein Führer. Ein Mann, der euch draußen in der Welt die Unterstützung zu verschaffen in der Lage ist, die ihr benötigt, um euch von den Genuesern zu befreien, und zu dem ihr
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