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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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zugleich vorbereitet und angesichts des an ein Stierkalb erinnernden Mannes in die Irre geführt hatte, der jetzt im Gehrock, mit Bundhosen und weißen Strümpfen und Schnallenschuhen an den erstaunlich kleinen, femininen Füßen vor ihm stand; auch seine Hände waren kinderklein. Die solenne Begrüßung mit den übereinandergelegten Händen und dazu das Aussehen eines ein wenig abgerissenen Gentlemans.
    Es brauchte eine Weile, bis Theodor klar wurde, daß Giafferi gar nicht daran dachte, ihn als Schiedsinstanz anzurufen. Der kleine Mann warb um ihn! Er behandelte ihn ganz ohne Umschweife so, als sei er ein unabhängiger Reisender, ein Abenteurer, der sich der Sache der Korsen zur Verfügung gestellt hatte, ohne darüber übrigens erstaunt zu sein oder in hündische Dankbarkeit zu verfallen, sondern im Gegenteil seine eigene Fiktion mit beiläufiger Selbstverständlichkeit behandelnd, als sei es gar keine Frage, daß ein jeder, der sich in nebelhaften Vorepochen auf die Suche nach dem Gral begeben hätte, der zur Zeit der Kreuzzüge
in die Reihen der Eroberer Jerusalems getreten wäre, sich heutzutage der Befreiung Korsikas verschreiben mußte.
    Auf den ersten Blick wirkte Don Luigi offener und zuvorkommender als seine beiden Mitstreiter. Aber auch er trug den Faltenbalken quer über die Stirn, der Sorge und sture Willenskraft ausdrückte, und auch er scherzte nicht. Wenn seine Augen einmal ironisch zwinkerten, dann nur, um bescheiden die Diskrepanz zwischen der heilig-ernsten Sache und der eigenen unvollkommen-hilflosen Persönlichkeit aufschimmern zu lassen. Dennoch wurde Theodor das Gespräch mit ihm nicht leid. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, der Korse drücke sich in Jamben aus.
    Für eine Shakespeare’sche Königstragödie wurde allerdings zuviel Molière’scher Dialog gesprochen und zuviel Pantomime nach Art der Commedia dell’Arte getrieben. Aber unterschätze diesen kleinen Mann nicht, dachte Theodor. Er ist auf dem Festland wohlhabend geworden als Anwalt, er hat gekämpft, geschossen, gemordet, er hat in mehreren Verliesen gesessen, sie werden ihn umbringen müssen, wollen sie ihn loswerden. Und so wie man im Theater zu einer der Personen auf der Bühne Sympathie faßt und beschließt, ihr zu vertrauen, so wie ein Kartenspieler auf ein durchschnittliches Blatt setzt, von dem zwei rote Damen ihm entgegenlächeln, in deren Hände er sich gibt, entschied sich Theodor irgendwann im Laufe des Gesprächs, Giafferi zu vertrauen.
    Hinterher gestand er sich kopfschüttelnd ein, daß der runde Wollkopf ihn mit seiner ostentativen Offenheit und seiner Art, so zu tun, als lege er die Geschicke der Nation vertrauensvoll in Theodors Hände, eingewickelt hatte. Aber als der Kongreß von Corti mit faulen, oder doch nur in der Theorie wohlklingenden Kompromissen endete – der Anerkennung der genuesischen Herrschaft einerseits, einer Generalamnestie, dem Versprechen der geschäftlichen Gleichberechtigung der Korsen und der Einrichtung eines
korsischen Gerichtshofes in Bastia andererseits – und keine drei Monate danach die in ihre Heimat zurückgekehrten Giafferi, Ceccaldi und Raffalli verhaftet und in Verliesen angekettet wurden, gab Theodor seine Schlichterrolle auf und eilte ihnen zu Hilfe.
    Warum um Himmels willen ergreife ich Partei? fragte er im Geiste Jane, deren nüchtern abwägender Blick ihm fehlte. Und zu welcher Seite würdest du mir raten? Die Korsen, auch wenn ich jetzt das Unrecht bekämpfe, das ihnen geschieht, sind mir doch gar zu fremd und lästig.
    Er erinnerte sich seiner Knabenspiele, wenn er, ein das Firmament ausfüllender Gott, im Gras kniete und zusah, wie Ameisen eine pollenschwere Biene attackierten. Er rettete die Biene nicht etwa, seine kindliche Grausamkeit war viel zu begierig darauf, der Zerstörung zuzusehen, aber seine Sympathie gehörte ihr, und so legte er den Ameisen Hindernisse in den Weg und tötete, Richter und Henker in Personalunion wie jeder Gott, einige der Unbelehrbaren, um dann, wenn sie ihr Mordwerk doch vollführten, den Ort angewidert und seltsam traurig, hoffnungslos und schuldbewußt zu verlassen und später tagelang einen großen Bogen um ihn zu machen.
    Alles, was er tat, lag nach wie vor, frei interpretiert, im Rahmen seiner Aufgabe. Als aufgrund seines Rapports Wien die Republik zwang, die drei Freiheitskämpfer zu entlassen, war auch ihre Abholung aus der Feste Savona und ihre Begleitung zurück nach Livorno noch immer ein neutraler Akt, auch wenn die

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