Der König von Luxor
Monjou-Bärtchen, und gekleidet war er in einen schicken roten Gehrock, der seiner Erscheinung etwas dandyhaft Vornehmes verlieh wie einem Zirkusdirektor.
Chambers war zu sehr damit beschäftigt, den Aufmarsch der Gladiatoren zu intonieren, er war mit Händen und Füßen zu Gange, so daß er im Schummerlicht nicht bemerkte, wie sich Carter von der Seite her näherte. Zudem hielt er ständig den Blick auf die Leinwand gerichtet, um seine Musik mit den Bewegungen der Schauspieler in Einklang zu bringen.
Er erschrak, als Carter plötzlich neben ihm stand, und im Gegensatz zu diesem erkannte er ihn sofort. »Sie?« fragte er in gedehntem Tonfall. »Was wollen Sie hier?«
»Ich suche Sarah Jones«, flüsterte Howard leise, um die Vorstellung nicht zu stören.
Chambers hob die Hand; doch galt die Bewegung nicht ihm, sondern sie war nur Auftakt für einen neuen Einsatz, bei dem sich der Organist mit großer Heftigkeit auf die Tasten stemmte. Howard vermutete, daß er seine Frage nicht verstanden hatte, und nachdem das Fortissimo verklungen war, sagte er erneut: »Ich suche Sarah Jones!«
Darauf zischte Chambers, den Kopf zur Seite gewandt: »Ich bin ja nicht taub. Lassen Sie mich in Ruhe. Merken Sie nicht, daß Sie stören?«
Carter blieb hartnäckig. »Sie müssen doch wissen, wo sie steckt! Warum sagen Sie es nicht?«
»Nichts weiß ich«, zischte Chambers zurück, »und selbst wenn ich es wüßte, Ihnen würde ich es zuallerletzt sagen!«
Einen Augenblick hatte Chambers Pause, weil der Gladiator auf der Leinwand unhörbar redete, was den Zuschauern auf einer eingeblendeten Texttafel vermittelt wurde.
»Was habe ich Ihnen eigentlich getan?« flüsterte Howard.
Chambers ließ die Leinwand nicht aus den Augen. »Das fragen Sie noch?« fauchte er verbittert. »Sie haben mir Sarah Jones weggenommen.«
»Weggenommen? Wegnehmen kann man nur etwas, was dem anderen gehört. Miss Jones hat Ihnen nie gehört!«
»Aber Ihnen, Ihnen hat Sarah gehört?«
»Das habe ich nie behauptet. Wir haben uns nur geliebt.«
»Pah, lächerlich. Sie waren ein dummer Schuljunge, noch grün hinter den Ohren. Wollen Sie ernsthaft behaupten, Sie wußten damals, was Liebe ist?«
»Ja, das behaupte ich. Wir haben uns wirklich geliebt – oder hat Sarah Ihnen jemals gesagt, daß sie Sie liebt?«
Chambers blieb die Antwort schuldig, weil die Kinematographenvorführung einen neuen Orgeleinsatz verlangte. Und Carter hatte den Eindruck, als ließe Chambers seine Wut und Verbitterung an den Tasten aus. Denn obwohl sich der Gladiator auf der Leinwand einer schönen Sklavin näherte, drosch der Organist ungestüm auf die Tasten ein, als fände ein heftiger Kampf statt.
Nachdem seine Wut abgeflaut war und er in eine angemessene Tonlage zurückgefunden hatte, knurrte Chambers halblaut und in der Hoffnung, Carter endlich loszuwerden: »Das letzte, was ich von Sarah Jones weiß: Sie ist vorletzten Sommer nach Amerika ausgewandert.«
»Nach Amerika? Warum ausgerechnet nach Amerika?«
Chambers verzog sein Gesicht. »Weiß ich doch nicht. Mich hat sie ja nicht geliebt. Und jetzt verschwinden Sie, sonst lasse ich Sie hinauswerfen.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kam Howard der Aufforderung nach und entfernte sich. Draußen, am Piccadilly, pulsierte das Leben. Im abendlichen Verkehr stauten sich die Droschken, welche festlich gekleidete Menschen zu den Theatern im Westend und nach Soho brachten. Carter nahm alles wie durch einen Schleier wahr, die schummrigen Straßenlaternen, die hell erleuchteten Auslagen und die Fußgänger, die den lauen Frühlingsabend zu einer Promenade nutzten.
Sollte Chambers die Wahrheit gesagt haben, gab es keine Chance mehr. Sollte Sarah England den Rücken gekehrt und in Amerika eine neue Zukunft gesucht haben, dann mußte er sich mit dem Gedanken abfinden, daß er sie nie mehr wiedersehen würde. Es sollte wohl nicht sein.
Am Zugang zur Untergrundstation Piccadilly Circus blieb Howard stehen und beobachtete die Liebespaare. Der neue Brunnen mit dem Liebesgott Eros in der Mitte des Platzes war ein beliebter Treffpunkt.
Die Zeitungsverkäufer brüllten ihre Neuigkeiten heraus. In London herrschte Zeitungskrieg, seit im Vorjahr die Daily Mail erschienen war, ein Massenblatt, welches auf der Straße verkauft wurde und in heftigem Konkurrenzkampf zum Daily Telegraph stand, dem ersten Penny-Paper. Seither war es beinahe unmöglich, sich den täglichen Schlagzeilen zu entziehen.
An Howard gingen die Rufe vorbei, denn
Weitere Kostenlose Bücher