Der König von Luxor
in sich hinein. »Ja, wenn Keedick das sagt…«
»Du hast ein Vermögen verdient, Howard, du brauchst nicht mehr im Wüstensand zu graben!«
Da wurde Carter plötzlich gesprächig. »Phyllis«, polterte er los, »ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß mein Beruf nichts mit Geldverdienen zu tun hat. Warum willst du das nicht begreifen? So widersinnig es klingen mag: Ich brauche den Staub der Wüste zum Atmen!«
»Du willst also wirklich wieder nach Ägypten zurückgehen?«
»Phyllis, ich habe mir eine Aufgabe gestellt, und ich werde diese Aufgabe zu Ende bringen. Es ist nicht damit getan, das Grab des Tut-ench-Amun zu entdecken und als vielbestaunter Ausgräber durch die Welt zu reisen. Vieles muß noch erforscht und archiviert werden. Jetzt beginnt erst die Kleinarbeit.«
Man sah Phyllis die Enttäuschung an. Aber sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Carter doch noch von seinem Vorhaben abzubringen. Mit heftigen Bewegungen blätterte sie in einem Modejournal.
Seit dem Tag ihrer Abreise aus New York, seit Howard erst im Morgengrauen ins Hotel zurückgekehrt war, herrschte eine gewisse Spannung zwischen den beiden. Phyllis hatte nicht gewagt, Howard zur Rede zu stellen, und er gab keine Erklärung ab, wo er die Nacht verbracht hatte. Eine Weile schwiegen Howard und Phyllis an Deck vor sich hin; dann schlug Phyllis ihr Modejournal zu und entfernte sich.
Die »Mauretania« dampfte südöstlich von Neufundland, 50 Grad westlicher Länge, 42 Grad nördlicher Breite, durch den Atlantik, und Carter döste im Liegestuhl vor sich hin, als ihn die Stimme eines Stewards aus seinen Gedanken riß: »Entschuldigen Sie, Sir, ein Radiogramm!«
Howard erschrak.
Der Steward beugte sich zu ihm herab und reichte Howard auf einem Silbertablett ein hellblaues Kuvert.
Hastig nahm Carter ein kleines Blatt Papier aus dem Umschlag. Darauf stand zu lesen:
From New York Radio to RMS »Mauretania«:
Manchmal genügt ein einziger Augenblick des Glücks, um zu sagen, man habe glücklich gelebt. In Liebe, Sarah
Howard erhob sich und trat an die Reling. Er wandte den Blick der untergehenden Sonne zu. Irgendwo hinter dem Horizont lag New York, die Orchard Street und ein großes Haus mit 36 eisernen Baikonen. Und in diesem Haus wohnte die Frau, die er immer lieben würde.
Wieder und wieder las er Sarahs Zeilen. Da – eine Böe, und der Windstoß riß ihm das Papier aus der Hand. Howard blickte ihm nach, bis es wirbelnd und immer kleiner werdend in der Gischt des Schiffes verschwand.
N ACHWORT
Howard Carter ging zurück nach Ägypten und arbeitete noch zehn Jahre im Grab des Tut-ench-Amun. Dabei stieß er auf eine vierte Kammer. Sie enthielt unter anderem zwei kleine Mumiensärge mit Frühgeburten, Töchter des Pharaos und der Königin Anches-en-Amun.
Lord Carnarvons Tochter Evelyn heiratete ihren Verlobten Sir Brograve Campbell Beauchamp, und die beiden wurden zu Lieblingen der englischen Gesellschaft.
Phyllis Walker wich nicht mehr von Carters Seite. Zurückgezogen lebte sie mit Howard nach dessen Rückkehr aus Ägypten in einem vornehmen Appartement in London, Albert Court. Carters Ruhm schwand ebenso schnell, wie er gekommen war.
Noch heute tauchen auf dem internationalen Kunstmarkt Gegenstände aus dem Grab des Tut-ench-Amun auf, die von Robert Spink 1922 geraubt und zu Geld gemacht wurden. Spink investierte den Erlös aus dem Coup in Aktien und Wertpapiere. Am sogenannten »Schwarzen Freitag« des Jahres 1929 verlor er sein gesamtes Vermögen. Darüber wurde er zum Säufer und landete schließlich in einem christlichen Männerheim im Londoner Stadtteil Lambeth. Der Versuch, seinen letzten Besitz, einen Goldbecher mit dem Namen des Pharaos, den er Carter gestohlen hatte, zu Geld zu machen, scheiterte, weil niemand ihm glaubte, daß der Becher echt war. Aus Wut und Verzweiflung warf er ihn später in Carters Grab.
1936 kehrte Sarah Jones aus New York nach London zurück. Aber wie das Leben so spielt: Sarah Jones und Howard Carter haben sich nie mehr wiedergesehen.
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