Der König von Luxor
»Wie schön, daß Sie gekommen sind.«
»Miss Jones, Mylady!« korrigierte die alte Dame unnachsichtig. »Miss Jones. Ich war nie verheiratet, und ich lege auf meine alten Tage auch keinen Wert darauf, den Anschein zu erwecken. Bleiben wir also bei Miss Jones.«
Als sich die beiden gegenüberstanden, wurde deutlich, daß die Lady gut einen Kopf kleiner war als Miss Jones, was seinen Grund jedoch nicht in Miss Jones’ Größe hatte, nein, Lady Evelyn war wirklich klein gewachsen.
Lady Evelyn geleitete Miss Jones zu einem Ecktisch. Dort wartete bereits Phyllis Walker, gerade halb so alt wie Miss Jones. Obwohl von einnehmendem Äußeren, hatte sie sich in weite, graue Hosen und ein enges Jackett gekleidet wie ein Dandy. Auf dem Kopf trug sie eine Baskenmütze. Darunter ragten dunkle Locken hervor, die mit glänzendem Gel an die Stirn geklebt waren – keine außergewöhnliche Erscheinung in Soho, aber im »Ritz« ohne Zweifel etwas gewagt.
Vor zehn Tagen hatten die drei Frauen auf dem Friedhof von Putney einer höchst merkwürdigen Beerdigung beigewohnt. Übersehen konnten sie sich nicht, denn die Beerdigungsgesellschaft bestand nur aus acht Trauernden, den Vikar eingeschlossen, und das war trotz eines ehrenden Nachrufs in der London Times doch ein trauriges Ende für den berühmtesten Archäologen der Welt: Howard Carter.
Die Idee, sich im »Ritz« zum Tee zu treffen, stammte von Lady Evelyn Beauchamp und hatte ihre Ursache in einem kleinen Ereignis am Rande. Beim Verlassen des Friedhofs in Putney hatte sich Lady Evelyn noch einmal umgedreht und dabei einen Landstreicher beobachtet, von denen um diese Zeit Hunderte die wärmenden U-Bahnhöfe bevölkerten. Der Mann hielt kurz inne, dann warf er ein kleines Päckchen in das offene Grab und humpelte davon.
Auf Fragen, wer der Mann gewesen sei und welche Bedeutung sein seltsames Verhalten wohl habe, wußte niemand eine Antwort. Nur Phyllis Walker glaubte den Landstreicher zu kennen. Jedenfalls erinnerte er sie an einen Mann, der in Howard Carters Leben eine zwielichtige Rolle gespielt hatte.
Durch diese Bemerkung war die Neugierde der beiden anderen Frauen geweckt worden, zumal jede von ihnen glaubte, alles über Carter zu wissen, und so hatten sie den Entschluß gefaßt, sich an diesem 15. März 1939 im »Ritz« zum Tee zu treffen und sich gegenseitig auszutauschen.
Das Gespräch begann schleppend, was zum einen im Alters- und Standesunterschied der Damen liegen mochte, andererseits kannten sie sich kaum, aber da war dieser Howard Carter, dem jede dieser drei Frauen auf ihre Weise verbunden gewesen war. Das kundzutun bedurfte einer gewissen Überwindung.
»Was meinen Sie, meine Damen«, begann Lady Evelyn, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, »wird es Krieg geben?«
Phyllis hob die Schultern. Sie wußte keine Antwort.
Miss Jones hingegen ereiferte sich: »Die Zeitungen sind voll von Berichten über Flottenmanöver im Atlantik und Truppenbewegungen in ganz Europa. Der König und die Königin besuchen jeden Tag eine andere Flugzeugfabrik, heute in Birmingham, morgen in Rochester. Neulich war zu lesen, man solle sich Lebensmittelvorräte für zwei Monate anlegen. Mylady, es riecht förmlich nach Krieg!«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Madam«, erwiderte Lady Evelyn, »ich war zwar noch jung, als der letzte Krieg ausbrach, und mein Vater, Lord Carnarvon, vertrat die Ansicht, ich sollte mich mehr mit Musik und Kunst beschäftigen als mit Politik, aber mir ist noch gut im Gedächtnis, daß die Umstände damals den heutigen aufs Haar glichen.«
»Howard war ein unpolitischer Mensch«, bemerkte Phyllis und kam damit endlich zum Thema.
»Aber nur, was den Zank der Parteien betraf!« protestierte die Lady, »Howard war ein Einzelgänger, auch in seinen politischen Ansichten.
Er redete heute der Labour Party das Wort, und morgen verteidigte er die Tories. Meinen Vater trieb Howards Wankelmut bis zum Wahnsinn. Ich hatte manchmal den Eindruck, als bereitete es ihm teuflisches Vergnügen, seine Meinung von heute auf morgen zu ändern.«
»Wann lernten Sie Howard kennen?« erkundigte sich Miss Jones. Dem Klang ihrer Stimme konnte man entnehmen, daß sie mit Lady Evelyns Behauptung nicht einverstanden war.
»Oh, da war ich noch ein kleines Mädchen. Das war noch vor dem Krieg. Ich begleitete meinen Vater zum ersten Mal nach Ägypten. Aber damals nahm er mich gar nicht wahr – ich meine als Frau. Ich hingegen verliebte mich schon als kleines Mädchen in Carter.
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