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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Frage, die klassische Auswanderungsroute. Und die wird von ›Cunard‹ und ›White Star‹ befahren. Für jede Überfahrt gibt es eine Passagierliste, alphabetisch geordnet von A bis Z. Man müßte also fünf oder zehn Passagierlisten im fraglichen Zeitraum durchgehen. Dann hätten Sie Gewißheit. Besuchen Sie mich morgen in meinem Büro bei ›White Star‹. Will sehen, was ich für Sie tun kann.«
    Carter sah Gallagher von der Seite an, als wollte er sagen: Müssen Sie mich in dieser Situation auch noch auf den Arm nehmen?
    Als er sich wegdrehte, meinte Gallagher eher beiläufig: »Ich bin Zahlmeister bei ›White Star‹. Vor meiner nächsten Indienreise mache ich gerade zwei Wochen Bürodienst.«
    Von einem Augenblick auf den anderen wurde Carter wieder nüchtern, jedenfalls glaubte er das. Morgen, dachte er, würde sich alles aufklären.
     
     
    »Junge, wie siehst du denn aus!« rief Martha Carter entsetzt, als Howard spät in der Nacht nach Hause zurückkehrte. Seine Mutter schien wie verwandelt, das Haus war aufgeräumt, auf dem Tisch in dem kleinen Salon stand ein Strauß Frühlingsblumen.
    Ein Blick in den Spiegel neben der Haustüre vermittelte wirklich nicht den besten Eindruck. Howard schämte sich, daß er es so weit hatte kommen lassen. Wenn er ehrlich war, unterschied sich sein Äußeres kaum von dem der Bettler am Trafalgar Square, bei denen er die letzten Nächte verbracht hatte.
    Im Badezimmer des uralten Hauses gab es zwar noch kein fließendes Wasser, aber zwei Waschschüsseln aus Porzellan genügten, um bescheidenen Ansprüchen der Säuberung gerecht zu werden. Danach fiel Howard todmüde ins Bett.
    Gleich am Morgen des nächsten Tages begab er sich mit schwerem Kopf zur Londoner Niederlassung von ›White Star‹. Das klotzige Gebäude war hoch wie ein Ocean-Liner, und die Eingangshalle glich dem Inneren einer Kathedrale mit Marmorsäulen und Seitenaltären, auf denen hinter Glas riesige Schiffsmodelle gezeigt wurden. Vergleichsweise klein erschien der Hochaltar an der Stirnseite, vor dem ein schwarz gekleideter Portier Wache hielt. Dahinter eine Weltkarte, auf der alle Übersee-Linien der Company eingezeichnet waren.
    John Gallagher empfing Carter mit freundlichen Worten. Gemeinsam erklommen sie vier Treppen und gelangten am Ende eines langen Ganges in ein Kontor, das von zwei ältlichen Damen in langen dunklen Röcken und weißen Blusen verwaltet wurde. Nachdem Gallagher erklärt hatte, worum es ging, begannen die Bürodamen die Ablage zu durchforsten, und in kurzer Zeit türmten sich auf einem Tisch zwei Aktenstapel, die Passagierlisten aller Atlantik-Steamer in dem genannten Zeitraum.
    »Wie war der Name der gesuchten Person?« fragte Gallagher förmlich.
    »Miss Sarah Jones«, antwortete Howard.
    Gallagher nahm sich den einen Stoß vor, den zweiten schob er Carter hin.
    Carters Passagierlisten stammten von dem Dampfer »Oceanic«, einem Schiff, das seit seinem Stapellauf 1870 die Linie Liverpool – New York und Southampton – New York befuhr und viele tausend, vorwiegend ärmere Engländer in die Neue Welt gebracht hatte.
    »Mein Gott!« rief Carter plötzlich, er hatte gerade zwei Passagierlisten durchforstet und war in die dritte vertieft, »Miss Sarah Jones, London.« Er deutete mit dem Finger auf einen mit schwarzer Tinte geschriebenen Eintrag. »Das ist sie!«
    Gallagher stellte seine Arbeit ein und beugte sich über das mehrfach gefaltete Papier. Dann sah er Howard fragend an.
    Der kämpfte mit den Tränen, als er sagte: »Eine unscheinbare Eintragung; aber für mich ist es der Schlußstrich unter die große Liebe meines Lebens.«
    »Tut mir leid, Mr. Carter, ich kann nachfühlen, was in Ihnen vorgeht.«
    Howard fuhr mit der Hand über das Papier, als wollte er die Falten glätten, doch in Wahrheit streichelte er zärtlich Sarahs Namen. Er wußte, das war ein Abschied für immer.
    Aus der Ferne vernahm er Sarahs Stimme wie damals beim Abschied auf dem Bahnhof von Swaffham: Ich liebe dich, Howard, ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Die Zeit wird kommen, da du das alles begreifen wirst. Behalte mich in guter Erinnerung.
    »Nein«, sagte er halblaut, »ich werde es wohl nie begreifen.« Behutsam faltete Howard die Passagierliste zusammen. Dabei ließ er den Blick über die Namen schweifen, hinter denen sich manch eigenwilliges Schicksal verbergen mochte. Plötzlich blieb sein Auge an einer Eintragung haften: Mr. C. Chambers, London.
    Carter stutzte, las den Namen ein

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