Der König von Luxor
mit dem Hinweis, Chambers sei ein ernsthafter Nebenbuhler gewesen, und er wolle in Erfahrung bringen, ob er seine Jugendliebe, Miss Sarah Jones, geehelicht habe.
Darauf gab Spurell seine Zurückhaltung auf, bedauerte jedoch, wenig über Chambers sagen zu können, weil er ihm nur ein einziges Mal, und das eher zufällig, begegnet sei. Bei dieser Gelegenheit habe Chambers erwähnt, er habe eine Anstellung als Organist in einem Londoner Kinematographentheater gefunden, einer Art Panoptikum, wo bewegte Bilder auf eine weiße Leinwand gespiegelt würden. Der leise Spott in Spurells Stimme war nicht zu überhören.
Eigentlich hätte Howard Carter länger in Swaffham bleiben wollen, aber das, was er erfahren hatte, versetzte ihn in große Unruhe und trieb ihn wieder fort aus der kleinen Stadt, die einst seine Heimat gewesen war.
Wieder in London, brachte Howard nicht den Mut auf, zu seiner Mutter zurückzukehren. Ein billiges Hotel, von denen es in Lambeth und Soho viele gab, wäre durchaus im Bereich seiner Möglichkeiten gewesen, aber Carter zog es vor, ziellos durch die Stadt zu irren. Er aß in einer der asiatischen Garküchen in Soho, nächtigte in der U-Bahn-Station Piccadilly Circus, am Tag darauf unter Pennern am Trafalgar Square, und machte sich lustlos auf die Suche nach einem Kinematographentheater in Chelsea. In einer Seitenstraße der Kings Road wurde er fündig.
Die auf Plakaten wie ein Theaterstück angekündigte Vorstellung trug den Titel »Die Rache der Lady Cora« und versprach »ein Eifersuchtsdrama in Adelskreisen, mit Musik untermalt«. Howard interessierte sich weniger für das Eifersuchtsdrama als für die Frage, ob die Musikuntermalung von einem gewissen Charles Chambers besorgt wurde. Zu diesem Zweck löste er für zwei Shilling ein Billett und betrat ein schummrig beleuchtetes, plüschiges Etablissement mit gepolsterten Stühlen und orientalischen Teppichen. Statt einer Bühne wie im Theater war eine weiße Leinwand gespannt, und zu beiden Seiten standen struppige Zimmerpalmen. An einem Piano links von der Leinwand nahm ein Musikus im Gehrock Platz – es war nicht Chambers.
Während der Vorstellung zitternder, flimmernder Bilder, die darin gipfelten, daß ein gehörnter Ehemann seinen Nebenbuhler erschoß, wobei der Klavierspieler zur Lautuntermalung mit einem Lineal auf sein Instrument schlug, applaudierten die Zuschauer heftig – weniger, weil sie das Drama so rührte, als in dem Bewußtsein, Augenzeugen einer bedeutsamen Erfindung geworden zu sein.
Auch Carter war plötzlich beeindruckt von dem Lichtspiel. Aber als die Zuschauer das Theater nach zwanzig Minuten wie benommen verließen, machte er sich an den Pianisten heran und fragte, ob ihm der Name eines gewissen Chambers geläufig sei, er sei Organist in einem Kinematographentheater.
Der Klavierspieler, nicht viel älter als Howard, erwiderte, es gebe in London nur ein einziges Lichtspieltheater mit Orgelbegleitung, das »Trocadero« am Piccadilly. Also begab er sich zu dem beschriebenen Etablissement und erkundigte sich nach einem Organisten namens Chambers.
Eine freundliche Dame in einer Art Kapitänsuniform und mit einer runden Kappe auf dem Kopf, also ziemlich gewagt gekleidet, verkaufte im Foyer, dessen Boden und Wände mit grauem Marmor verkleidet waren, Programme. Ja, ein gewisser Charles Chambers spiele die Kinematographenorgel, sagte sie, und es gebe drei Vorstellungen am Tag.
Um an Chambers heranzukommen – bei dem Film handelte es sich um eine Geschichte aus dem alten Rom, und rote Plakate versprachen einen Gladiatorenkampf mit lebendigen Löwen –, löste Howard ein Billett für die Vorstellung.
Das »Trocadero« bot über zweihundert Zuschauern Platz und verfügte über kleine Seitenlogen für jeweils vier Personen. Auf einer Empore an der Rückseite war die Orgel installiert, ein bizarres Ungeheuer mit goldblitzenden Pfeifen und ebensolchen Putten.
Howard hatte den äußersten Platz in der letzten Sitzreihe belegt und lauschte der kessen Orgelmusik, mit der das Publikum vor Beginn der Vorführung unterhalten wurde. Dann verlosch das Licht, und die Vorführung begann.
Im Schutze der Dunkelheit schlich sich Carter auf die Orgelempore. Der Spieltisch wurde von einer tiefhängenden Lampe matt erleuchtet. Er hätte Chambers beinahe nicht erkannt, so hatte der ehemalige Organist von St. Peter und Paul sein Aussehen verändert. Seine einst wirren Haare waren kurz geschoren. Auf der Oberlippe trug Chambers ein
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