Der König von Luxor
geschah.
»Madam, ich bin hier, um mein Geld abzuholen«, konnte er gerade noch sagen, dann überfiel ihn Miss Paterson mit einem Redeschwall:
»Gewiß, Mr. Carter, ich werde sogleich alles veranlassen. Im übrigen schickt sie der Himmel. Dr. Naville schickt jeden Tag ein Telegramm, er droht, seine Arbeit in Der-el-Bahari abzubrechen und fordert dringend Ihre Rückkehr nach Ägypten. Ich bitte Sie, Mr. Carter, schlagen Sie Naville diesen Wunsch nicht ab. Ich bin sicher, er macht seine Drohung wahr. Das können wir uns einfach nicht erlauben. Der-el-Bahari ist unser größtes Projekt, ein Prestigeobjekt sozusagen. Der Egypt Exploration Fund ist auf dieses Projekt angewiesen. Naville schreibt, ihm liefen alle Arbeiter davon, er habe kaum noch Leute. Sie seien der einzige, der die Arbeiter zur Rückkehr bewegen könnte.«
»Das verstehe ich nicht«, erwiderte Howard, der sich durch diesen Antrag geschmeichelt fühlte. Er hatte eher Mitleid erwartet oder Vorwürfe, weil er sein ägyptisches Abenteuer so abrupt beendet hatte. Nun kam ihm Miss Patersons Angebot nicht einmal ungelegen. »Das verstehe ich nicht«, wiederholte Carter, »Dr. Naville ist bei den Arbeitern keineswegs unbeliebt, wenn es ihm auch an Sprachkenntnissen mangelt, um sich direkt mit ihnen zu unterhalten.«
Miss Paterson zeigte auf eine Ägypten-Karte an der Wand und deutete mit dem Finger auf Assuan. »Die Ägypter bauen einen zwei Kilometer breiten Staudamm, die größte Talsperre der Welt. Dazu brauchen sie zehntausend Arbeiter. Offenbar können die Leute dort mehr Geld verdienen als in Der-el-Bahari.«
»Davon bin ich überzeugt«, antwortete Carter, »aber dann sehe ich nur eine Möglichkeit, Miss Paterson, wir müssen den Arbeitern in Der-el-Bahari denselben Lohn zahlen wie in Assuan. Jeder Ägypter geht seiner Arbeit lieber an seinem Wohnort nach als in ein paar hundert Kilometern Entfernung, wo er, fern von seiner Familie, die Nächte in einem Camp verbringen muß. Freiwillig macht das keiner. Das einzige, was diese Männer nach Assuan treibt, ist das Geld. Diese Leute sind keine Idealisten, die stolz darauf sind, den Tempel der Hatschepsut auszugraben. Sie wollen Geld verdienen, sonst nichts. Sie würden im Tal der Könige auch dann graben, wenn man ihnen sagte, dort gibt es Petroleum.«
Miss Paterson war eine vornehme Dame, und Howards offene Worte wirkten auf sie schockierend. Aber vermutlich war dies genau der rauhe Ton, den man brauchte, um mit den Fellachen in Mittelägypten auszukommen. »Sie lassen mich doch nicht im Stich?« fragte sie unsicher.
Carter tat so, als müßte er sich die Sache noch einmal gründlich überlegen. In Wahrheit hatte er sich längst entschieden. »Also gut«, erwiderte er, »wenn Sie mir die Vollmacht geben, den Arbeitern denselben Lohn zu zahlen, den sie in Assuan verdienen können, will ich sehen, was ich tun kann.«
Schon am folgenden Tag machte sich Howard Carter von Victoria Station auf den Weg nach Ägypten.
K APITEL 19
Achtung! Der Egypt Exploration Fund sucht Arbeitskräfte für die Ausgrabungen in Der-el-Bahari. Bezahlung zu denselben Bedingungen wie bei den Bauarbeiten in Assuan.«
Ein gutes Dutzend dieser Schilder in arabischer Sprache brachte Howard Carter in Kurna, Luxor und an den Schiffsanlegestellen an. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Eine Woche nach seiner Rückkehr hatte er zweihundert neue Arbeiter gewonnen, und es wurden täglich mehr. Naville übertrug Howard alle organisatorischen Aufgaben, und weil Carter es war, der die Arbeiter entlohnte, genoß er bald höheres Ansehen als Edouard Naville.
Howard bewohnte wieder sein bescheidenes Zimmer im »Maamura Palace«, auch Sir Henry, sein Maultier, das er Hals über Kopf verkauft hatte, war ihm wieder zu Diensten. Allerdings hatte er dem Tier gleich am ersten Tag gut zugeredet, nie mehr in ein Loch zu treten, das sich irgendwo in der Erde auftat.
Auf dem Ritt von Der-el-Bahari zur Nilfähre holte ihn eines Abends, es war Herbst geworden und dunkelte früh, Sayyed ein, der Junge, der ihn aus dem Gefängnis befreit hatte.
»Carter-Effendi!« rief er von weitem. »Sensation, Sensation!«
Howard brachte Sir Henry zum Stehen und wandte sich um. Der Junge auf seinem Esel schwenkte eine Laterne in der Hand. »Ich darf es niemandem sagen«, rief er leise im Näherkommen, »aber Carter-Effendi ist mein Freund, und Freunde kennen keine Geheimnisse voreinander, nicht wahr, Carter-Effendi?«
Howard mußte lachen.
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