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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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die sechzehn Steinstufen nach unten schritt, die Carter in der Mitte eines breiten Erdtrichters freigelegt hatte, nahm Evelyn Howard beiseite. »Ich habe das alles nicht gewollt«, bemerkte sie mit gesenktem Blick. »Mein Vater hat mich mehr oder weniger gezwungen, in die Verlobung mit Beauchamp einzuwilligen. Er drohte mir sogar, den Scheck zu sperren, den er dir für die letzte Saison überlassen hat.«
    »Gewiß, gewiß!« heuchelte Howard Verständnis. »Dann bin ich dir ja sogar zu großem Dank verpflichtet. Dank! Dank! Dank! Wie konnte ich es auch wagen, mich einer englischen Lady zu nähern, ich, ein lohnabhängiger Ausgräber, Sohn eines einfachen Tiermalers aus Norfolk. Mylady, ich bitte um Vergebung für meine unangebrachten Gefühle! Und jetzt entschuldige mich.«
    Eilends begab sich Carter zu Carnarvon in die Grube. Am Ende der Treppe versperrte eine rohe Mauer den Weg. Die Fugen des Mauerwerks waren mit Lehm verputzt und trugen Siegelabdrücke von Tut-ench-Amun und an anderer Stelle die Hieroglyphen eines Schakals und neun Gefangener, das Siegel der Totenstadt im Tal der Könige.
    Nur Howard Carter wußte, was das bedeutete. Ein Blick hatte genügt, um zu erkennen, daß auch dieses Grab schon einmal von Räubern heimgesucht worden war. Man konnte bei näherem Hinsehen die halbkreisförmige Öffnung erkennen, die mit großer Sorgfalt verschlossen und dann versiegelt worden war. Dennoch war Carter durchaus nicht mutlos; denn – so folgerte er – diese Öffnung war so klein, daß sich gerade ein Mensch hindurchzwängen konnte. Es stand also kaum zu befürchten, daß größere Gegenstände oder gar die Königsmumie entfernt worden waren. Doch darüber machte Howard keine Bemerkung.
    Er hatte für diesen Tag nur eine kleine Mannschaft antreten lassen, seine besten Leute, und sie mit eindringlichen Worten zum Schweigen verpflichtet.
    Der Lord verharrte in Andacht vor der Mauer. Mit den Schultern vollführte er nervöse Zuckungen, ein Zeichen der Anspannung. Carter beobachtete es mit Wohlgefallen. Für ihn war der Anblick nicht neu, er hatte ihn längst verarbeitet und gab sich nun betont gelassen.
    »Carter«, stammelte Carnarvon aufgeregt, »ich glaube, ich muß mich entschuldigen für meine Ungeduld. Sie sind ein großer Archäologe!«
    »Ach was!« erwiderte Howard und warf Evelyn einen flüchtigen Blick zu. »Ich bin nur hartnäckig, und Hartnäckigkeit zählt nicht gerade zu den christlichen Tugenden. Im übrigen war es Ihr Geld, Mylord. Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat. Dabei war ich schon zweimal nur fünf Schritte von der ersten Steinstufe entfernt. Damals grub ich noch für Theodore Davis. Beim zweiten Mal traf auch Sie eine gewisse Schuld, Mylord, als Sie meinten, wir sollten mit unseren Grabungen nicht den Zugang zum Grab Ramses’ VI. behindern. Dabei überlagerte der Aushub eben dieses Grabes den Eingang des vergessenen Pharaos.«
    »Und wie kamen Sie dennoch auf die richtige Fährte, Mr. Carter? Das grenzt doch beinahe an ein Wunder!«
    »Es war auch ein Wunder, Mylord. Aber darüber möchte ich schweigen.«
    Evelyn sah Howard neugierig an. »Ein Wunder?« fragte sie schüchtern.
    Howard überging ihre Frage und meinte: »Ich darf Sie nun bitten, sich nach oben zu begeben.«
    Kurz darauf begannen fünf Arbeiter, mit schweren, spitzen Eisenstangen die Mauer zu bearbeiten. Es dauerte keine Stunde, bis sie den ersten Steinblock aus dem Mauerwerk lösten.
    »Licht!« rief Carter, und Arthur Callender ließ ein Stromkabel mit einem schwarzen Lampenschirm in die Tiefe hinab. Mit zitternden Händen schob Howard den Scheinwerfer durch die Öffnung und spähte hindurch. Der Anblick war erst einmal enttäuschend. Ein mit Erde, Schutt und Staub angefüllter Gang führte schräg in die Tiefe.
    Carter gab das Kommando: »Die ganze Mauer abbrechen!«
    Nach einer Stunde war der Zugang freigelegt.
    »Bitte, nach Ihnen.« Carter grinste und machte vor dem Lord eine einladende Handbewegung.
    Carnarvon war viel zu aufgeregt, um die Ironie in Howards Worten zu erkennen, und Evelyn, deren Herz bis zum Hals schlug, begriff erst recht nicht, daß Carter sich über sie lustig machte.
    »Nein, Sie sollten vorausgehen!« erwiderte der Lord und machte Carter Platz. Der nahm den Scheinwerfer in beide Hände und begann, das Stromkabel hinter sich herziehend, den Abstieg, gefolgt von Evelyn und Carnarvon, dahinter Callender.
    Der Gang, nicht viel breiter als eine Armspanne, war knietief mit Splittersteinen,

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