Der König von Luxor
verrichteten und für die Ergebnisse ihrer Arbeit kaum Interesse zeigten, schleppten in höchster Anspannung ihre mit Schutt beladenen Körbe nach oben. Da, kurz vor Mittag, meldete der Vorarbeiter Ahmed Gurgar die Entdeckung einer zweiten versiegelten Türe.
Wie von Sinnen sprang Carter von seinem schattigen Thron auf, stolperte in den Erdtrichter hinab, über die Steinstufen, den schmalen Gang entlang. Arbeiter, die ihm stumm, beinahe andächtig entgegenkamen, stieß er zur Seite, bis er vor der Mauer stand. Sie glich der ersten aufs Haar, und wie diese trug sie die Namensringe Tut-ench-Amuns und die Siegel der Totenstadt.
Vorsichtig, als fürchtete er, er könne etwas zerstören, tastete Howard mit den Fingern über das Mauerwerk. Ahmed, der die Lampe hielt, sah den Ausgräber fragend an. Als Carter seinen Blick bemerkte, meinte er ernst und feierlich, während er mit dem Zeigefinger den Ring mit dem Königsnamen Neb-cheperu-Re nachzog: »Ahmed, hinter dieser Mauer werden wir den vergessenen Pharao finden!«
»Ja, Effendi«, antwortete Ahmed Gurgar ebenso andächtig.
»Ja, Effendi!« äffte Howard den Rais nach. Er packte seinen Vorarbeiter an den Schultern, schüttelte ihn wie einen halbleeren Sack, und dabei rief er, wobei sich seine Stimme fast überschlug: »Begreifst du überhaupt, wovon ich rede? Hinter dieser Mauer liegt ein Pharaonengrab verborgen, und wir sind die ersten Menschen seit dreitausend Jahren, die es betreten werden. Und das einzige, was du dazu zu sagen hast, ist ›ja, Effendi‹!« In höchster Erregung stieß Carter den Rais von sich.
Angelockt von dem Geschrei, das aus der Tiefe drang, kamen Carnarvon und Evelyn nach unten. Sie waren soeben aus Luxor eingetroffen, und die Nachricht von einer zweiten versiegelten Türe hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Carter erwiderte den Gruß der beiden nur knapp und wies mit einer Bewegung des Kopfes auf die Siegel.
»Das bedeutet…« leitete der Lord eine Frage ein.
»… daß wir guter Dinge sein können«, erwiderte Carter.
»Sie sollten gleich mit der Öffnung beginnen!«
Howard, der dem Lord bisher kaum Beachtung geschenkt hatte, wandte sich mit einem Mal Carnarvon zu. Mit leiser Stimme, in der jedoch etwas Drohendes lag, sagte er: »Mylord, wer hier was und wie unternimmt, bestimme allein ich. Sie mögen den Zirkus hier bezahlt haben, aber ich bin der Direktor, unter dessen Peitsche alle Pferde tanzen. Auch Sie, Mylord!«
Evelyn zuckte zusammen. Sie konnte sich nicht erinnern, daß jemals jemand mit ihrem Vater in diesem Ton geredet hatte, und sie erwartete eine äußerst heftige Erwiderung. Aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, Lord Carnarvon sagte leise: »Entschuldigen Sie, Mr. Carter, es ist die Aufregung. Selbstverständlich bestimmen Sie den Zeitplan.«
Carter hatte in seinem Leben nur wenige triumphale Augenblicke erlebt, die Zahl der Niederlagen und Demütigungen war weit höher, und vielleicht war dies der größte Triumph in seinem bisherigen Leben: Der stolze Lord Carnarvon, von dem man annehmen durfte, daß er sich noch nie bei irgend jemandem für irgend etwas entschuldigt hatte – wozu auch, pflegte er zu sagen, ich bin perfekt –, dieser stolze Lord hatte ihn um Verzeihung gebeten, ihn, den unstandesgemäßen Howard Carter aus Swaffham in Norfolk.
Howard genoß den Augenblick schweigsamer Spannung, er sog ihn wie Opium in sich auf und berauschte sich an seiner Wirkung. Verstärkt wurde seine Euphorie durch Evelyns bewundernde Blicke. Sie hätte nie geglaubt, daß Howard so viel Stolz und ihr Vater soviel Nachgiebigkeit an den Tag legen könnte.
Wortlos gab Carter dem Rais ein Zeichen, und der reichte ihm eine schwere, spitz zugeschliffene Eisenstange. Der Lord und seine Tochter wichen zurück. Als gelte es, einen Gegner im Kampf zu besiegen, entledigte Howard sich seiner Jacke, dann hob er die Eisenstange mit beiden Händen über den Kopf. Schließlich holte er aus und rammte das Werkzeug in die linke obere Ecke der Mauer.
Das Gestein erwies sich als brüchig. Faustgroße Splitter klatschten zu Boden. Wie von einer Dampfmaschine angetrieben, rammte Carter die Eisenstange in das Mauerwerk und verfiel dabei in einen merkwürdigen Rhythmus, dem Herzschlag eines Menschen nicht unähnlich. Es klang, als begänne das Herz des Pharaos von neuem zu schlagen.
Weder Schweiß, der ihm aus allen Poren trat, noch Staub, der sich beißend über seine Lungen legte, konnten Carter in seiner Arbeit bremsen.
Weitere Kostenlose Bücher