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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Geschenk muss man achten und pflegen. Und da das Leben sehr kostbar und unersetzlich ist, hast du die Verpflichtung, besonders darauf zu achten.«
    Alexander wunderte sich. Fast die gleichen Worte hatte Rassul benutzt. War es die Weisheit älterer Männer, die sie so reden ließ?
    »Das tue ich doch.«
    »Nein, das tust du nicht. Du bist noch nicht alt genug, um das zu verstehen. Dein Abschnitt des Lebens ist unbedeutend, und das Leben, das wir kennen, ist unbedeutend. Ein kleiner Teil wie die Stunde eines Tages und noch weniger.«
    »Yokola ist sehr gläubig«, flüsterte Urnak Alexander ins Ohr. »Er ist unser Saman. Keiner kann den Weg der Herde und den der wilden Tiere so genau voraussagen wie er. Deshalb hat er dich auch gefunden.«
    »Ein Saman? Was ist das?«
    »Später«, winkte Urnak ab, und Alexander bemerkte den Respekt, mit dem der Jüngere dem älteren Fährtenleser begegnete.
    Yokola fuhr fort: »Du hast den Tod beinahe kennengelernt und müsstest eigentlich jetzt etwas mehr vom Leben verstehen. Unterschätze nicht seinen Wert, denn es ist die Vorstufe für etwas Größeres.«
    Alexander schwieg eine Weile, die eindringlichen Worte wirkten, und er besann sich auf die Zeit im Lager. Wie hatte er sich im Eisloch, als er die Ratten verzehrte, an das Leben geklammert?
    »Viele schätzen das Leben überhaupt nicht. Sie bringen Menschen um, es gibt Kriege, sie weiden sich am Tod. Warum gehen sie so sorglos mit dem Leben anderer um?« wollte Alexander wissen.
    »Sie kennen die Bedeutung ihres eigenen Lebens nicht und kommen sich stark vor, weil sie vielleicht die Macht haben, über andere zu richten. Und sie meinen dann, sie seien ein Teil der Unsterblichkeit. Aber glaube mir, im Angesicht des Todes werden sie winseln.«
    »Handeln sie wirklich nur so, weil sie die Bedeutung ihres Lebens nicht kennen?«
    »Und weil sie keinen Glauben haben«, erwiderte Yokola. »Glaubst du an das weiße unendliche Licht?«
    Als Alexander nachfragte, übersetzte Urnak den Begriff mit Gott und deutete hoch zum Himmel, wo der Polarstern zu sehen war.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Alexander zögernd. Trotz seiner katholischen Erziehung haderte er oft mit Gott. Warum prüfte Gott ihn ständig, obwohl er doch früher so gläubig gewesen und heimlich mit seinen Eltern in die Kirche gegangen war? Lieder und Bibelpassagen auswendig gelernt, Bilder vom heiligen Abendmahl angefertigt und Kreuze geschnitzt hatte? Aber wenn es eine Vorsehung gibt, müsste es eigentlich auch einen Gott geben, sagte er sich. Und war er nicht durch Yokola so wundersam gerettet worden?
    Mit Augen, die Alexander irritierten, sah Yokola ihn an. »Das Licht steht über allem und ist jedem gnädig. Ich meine nicht das schreckliche Licht, das krank macht, wie bei unseren Brüdern, den Tschuktschen. Dieses schlechte Licht stammt von bösen Menschen, die gottähnlich sein wollen.«
    Urnak verdeutlichte, dass die Tschuktschen ein Nomadenvolk seien wie die Ewenken und viel weiter im Westen lebten, auf der nach ihnen benannte Tschuktschenhalbinsel an der Beringstraße. Yokola meinte mit dem schlechten Licht gewaltige künstliche Blitze, die es dort gebe, seit die Armee aufgetaucht sei. Dadurch würden die Menschen krank.
    Alexander, der den Zusammenhang nicht verstand, wandte sich wieder an den Alten. »Aber Gott soll doch die Bösen zu unsagbaren Qualen verurteilen. So habe ich es gelernt. Die Bösen kommen in die Hölle.«
    Urnak übersetzte Himmel mit Oberwelt und die Hölle mit Unterwelt und fügte hinzu, er, Alexander, meine die böse Unterwelt.
    »Das wird Gott niemals tun«, widersprach Yokola. »Sonst wäre er nicht Gott.«
    »Kommt jeder in den Himmel? Auch Mörder und Kommandanten von Strafgefangenenlagern, in denen Tausende sterben?«
    »Ja. Es wird eine fremde Welt für sie sein, weil sie zum ersten Mal Liebe erfahren.«
    »Sie werden sie nicht schätzen können.«
    »Doch, weil sie ihre Kraft spüren, werden sie sich daran gewöhnen.«
    »Warum soll ich denn Gutes auf der Erde tun, wenn ich ohnehin in den Himmel komme? Wenn es keine Hölle gibt, die mir drohen kann?«
    Alexander konnte Yokola nicht aus der Fassung bringen.
    »Gott droht uns mit der Hölle, und wir drohen unseren Kindern auch manchmal, wenn sie etwas Unrechtes getan haben. So wie wir unsere Kinder erziehen, erzieht uns Gott.«
    Alexander, der Zeuge geworden war, wie kaltblütig die Ewenken ihre Rentiere töteten, begehrte auf. »Deine Liebe bezieht sich nur auf den Menschen, denn die

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