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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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immerhin werde man im Frühjahr die ersten Kilometer der Trasse zu erstellen haben.
    Die Brust des Kommissars wölbte sich nun voller Stolz, zufrieden schaute er in die Runde. »Da kann ich euch beruhigen, Genossinnen und Genossen, die Lieferung ist unterwegs. Für unseren Bauabschnitt werden wir achtzig neue Lkw erhalten. Deutsche. Von der Firma Magirus Deutz.«

    Eine Woche später herrschte große Aufregung, denn seit einigen Tagen wurde ein Arbeiter vermisst, der allein auf die Jagd gegangen war. Schnell stellte man eine Suchmannschaft zusammen und teilte sie in Gruppen ein. Jeweils zu viert durchkämmten sie das umliegende Gebiet. Sie krochen unter feuchten Sträuchern hindurch, balancierten über umgestürzte Strünke und Stämme und tauchten tief in einen nahe gelegenen Waldberg hinein, den sie erklommen. Lager und Siedlung schrumpften zu einem graubraunen Fleck im grüngelben Baumozean, und je höher sie stiegen, desto mehr veränderte der Berg seine Farbe. Zur Südseite hin wurde er bunter, der gelbrote Ton nahm zu.
    Nach wenigen Minuten erreichte der Suchtrupp eine sanfte Mulde, aufgefüllt mit Geröll, die zum Berg hin steil auslief. Mittendrin wuchsen, als sei es ein Park, Zwergkiefern in solch intensivem Grün, wie Alexander es nicht für möglich gehalten hätte. Sie standen so dicht, dass er kaum den Himmel sehen konnte. Den lockeren Untergrund bedeckte ein dicker Moosteppich, in dem sie tief versanken. Alexanders Füße rutschten zwischen das Geröll und verkeilten sich, aus allen Ritzen krochen die schlanken Kiefern. Ihre Stämme waren zäh, geschmeidig, feucht und lederartig, wie erstarrte Schlangen. Je weiter sie den Berg hinauf stapften, desto mehr riss das Moos, eine mit Würmern und Kleingetier durchsetzte, erdige Haut, unter den Stiefeln auf. Oft verschwanden ihre Beine bis zum Schaftrand der Stiefel in einer Spalte.
    »Vielleicht ist er bei einer Frau?« meinte der zur Linken von Alexander missmutig, der es schon bereute, sich dem Kommando angeschlossen zu haben. »Und wir müssen hier durch die Gegend stapfen.«
    »Oder er hat ein Brüderchen im Kopf.« Gemeint war der Geist aus einer Wodkaflasche.
    Nikita, der vorneweg Marschierende, blieb stehen und drehte sich um. »Kann nicht sein. Niemand trinkt allein.«
    Damit war für Nikita die Situation geklärt, und er beschleunigte das Tempo. In den nächsten Minuten erwähnte er beiläufig, dass er etliche Jahre in der Taiga als Jäger unterwegs gewesen sei. Sie kamen an einem Bärenlager vorbei. Nikita deutete auf Reisig und Moospolster, schlagartig veränderte sich seine Haltung, und er nahm das Gewehr in Anschlag.
    »Das Lager ist frisch«, flüsterte Nikita und schlich gebückt weiter. Dafür jedoch machten die anderen genügend Lärm, als wollten sie damit die plötzlich aufkommende Angst überdecken.
    Auf einer kleinen Lichtung sahen sie den braunen Koloss. Witternd blickte er in ihre Richtung, sich seiner Kraft bewusst, kam er langsam auf sie zugetrottet. Bis auf 20 Meter schaffte er es, dann streckte ihn eine Kugel nieder.
    »Nehmen wir auf dem Rückweg mit«, meinte Nikita, der Jäger. »Gutes Fleisch.« Noch zwei Stunden marschierten sie weiter. Erneut schnappte sich der Jäger das Gewehr, um es in Hüfthöhe in Anschlag zu bringen. Ein zweiter Bär saß vor etwas Undefinierbarem und kaute, träge schaute er sie an. Und das, was er kaute, war an einem Ende bunt.
    Nikita legte an und erschoss auch diesen Bären. Von dem gesuchten Arbeiter war nicht mehr viel übrig. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen, das Fleisch an vielen Stellen bis auf die Knochen abgenagt. Unter einem Strauch Tag eine zerfetzte Hand, die sich im letzten Todeskampf krallenartig zusammengezogen hatte.
    Nikita zückte ein großes Messer und zerlegte den Bären. Gemeinsam hängten sie die Reste seines Kadavers an die umliegenden Äste. So verlangte es der Brauch, wenn man ein Tier erlegte, das einen Menschen getötet hatte.

    Die Arbeit im Winter war mörderisch. Frauen und Männer hatten mit ungeahnten Schwierigkeiten zu kämpfen, von denen ihnen vorher kein Ingenieur und erst recht kein Politkommissar, die logen sowieso das Blaue vom Himmel, etwas erzählt hatten. Material wurde spröde, Gummi verlor seine Elastizität und brach, Rohre platzten oder rissen, Baggerzähne zerbarsten am gefrorenen Boden, als wären sie kariös, hartgefrorene Holzstämme zerfetzten die Sägeblätter. Keine Autobatterie behielt ihre Kraft über Nacht, Motoren versagten oder sprangen

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