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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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mitgenommen.«
    »Und wo ist sie jetzt?«
    Die Krimerowa wusste es nicht, aber sie erinnerte sich an eine alte Freundin von Natascha Gautulin. Gleich im Block schräg gegenüber. Tusanskaja, ja, so heiße sie. Wenn jemand Bescheid wisse, dann die Tusanskaja.
    Alexander bedankte sich, trat ins Freie und atmete tief durch. Ihm war mulmig zumute. Die Bewohner hatten also von seiner Verhaftung und Verurteilung erfahren. So etwas konnte auch nicht verheimlicht werden. In einem Fall wie dem seinen ging die Miliz ein und aus, sämtliche Familienmitglieder litten darunter und hatten mit Repressalien zu rechnen. Eine äußerst wirkungsvolle Methode des Staates, mit Hilfe von Gerüchten und Mundpropaganda Angst und Schrecken zu verbreiten.
    Natürlich erinnerte sich die Tusanskaja an Natascha Gautulin, und sie erkannte Alexander auch sofort wieder. Aber seine Mutter sei nicht ausgezogen, sondern in ein Krankenhaus gegangen und vor vier Jahren gestorben.
    Alexander trank von dem süßen Likör, aufmunternd nickte ihm die sechzigjährige Frau zu. Dann wollte sie wissen, wie es ihm denn im Lager ergangen sei. Mit knappen Worten beendete er das unangenehme Thema.
    »War meine Mutter lange krank?«
    »Ja, gut sechs Monate.«
    »Und woran ist sie gestorben?«
    »Herzversagen. So sagen die Ärzte.«
    Sie habe schwer unter ihm, Alexander, gelitten. Oft sei die Miliz in Begleitung von Herren in Zivil gekommen, um sie zu befragen. Auch noch kurz vor ihrem Tod, bis ins Krankenhaus hätten sie sie verfolgt. Sogar als Natascha schon unter der Erde gewesen sei, erklärte die Tusanskaja, habe sie die Männer häufig in der Straße gesehen. In einem Auto hätten sie gesessen, als würden sie auf jemanden warten.
    »Haben Sie meine Mutter im Krankenhaus besucht?«
    »Einmal in der Woche, sonst kam ja keiner« Vorwurfsvoll sah die Tusanskaja ihn an.
    »Hat sie gelitten?«
    »Jeder, der stirbt, leidet.«
    »Und noch etwas gesagt?«
    »Du meinst für dich? Ihren Sohn?«
    Alexander hoffte, es wäre der Fall gewesen. Eine Bestätigung aus jüngerer Zeit, quasi als letzte Bindung an seine Familie und einen Beweis dafür, dass seine Mutter ihn nicht vergessen hatte. Warum war ihm soviel daran gelegen? Weil er wenigstens einmal die Gewissheit haben wollte, dass sich jemand an ihn erinnerte? Auch zwischendurch an ihn dachte?
    »Nein, eigentlich nicht. Dich haben wir in allen Gesprächen ausgeklammert. Zuletzt war sie auch sehr verwirft, ich meine, nach dem zweiten Herzanfall.«
    Alexander verbarg seine Enttäuschung. »Wo sind die Sachen meiner Mutter abgeblieben?«
    »Das ist alles beschlagnahmt worden. Weil es, außer dir, mein Junge, keine Verwandten gegeben hatte. Und du warst ja ...«
    »Auch meine persönlichen Dinge? Wie Bücher und ...«
    »Alles weg.«
    Alexander starrte auf den Tisch. Seine Mutter tot, keine Nachricht, keine Erinnerung. Also bin ich doch wie eine Kerze, die ausgeht und keine Spuren hinterlässt. Noch nicht einmal bei der eigenen Mutter.
    »Dann werde ich wieder gehen.« Alexander erhob sich.
    »Ich habe einen Koffer für dich aufbewahrt.«
    »Was ist drin?«
    »Keine Ahnung. Hat sehr viel Platz weggenommen. Und ich habe immer sorgfältig darauf aufgepasst.«
    »Wo ist der Koffer?«
    »Wie gesagt, er stand lange in meinem Schlafzimmer. Konnte mich nicht richtig rühren.«
    »Wie viel Rubel?«
    Die Tusanskaja tat so, als käme es ihr nicht aufs Geld an. So etwas sei doch selbstverständlich, wenn es sich um den letzten Willen der besten Freundin handele.
    »Ich will dich ja nicht übervorteilen, aber hundert müssen es schon sein.«
    Alexander bezahlte und wollte nur noch weg. Aber die verhärmte Frau fühlte sich nun verpflichtet, eine weitere Gegenleistung für das Geld zu bieten, indem sie plapperte und plapperte. Welches Nachthemd seine Mutter angehabt habe, was man ihr zu essen gab, dass zum Schluss die Augen nachgelassen hätten.
    »Und den Koffer sollte ich aufheben. Sie hat ausdrücklich gesagt, er sei für dich. Im Krankenhaus hat sie ihn mir gegeben. Immer wieder sprach sie davon, dass du bestimmt eines Tages kommen und den Koffer abholen würdest. Ich war da ja ganz anderer Meinung, aber auf mich wollte sie nicht hören.«
    Diese wenigen Worte genügten, um bei Alexander ein euphorisches Gefühl zu erzeugen: Sie hat an mich gedacht und über mich gesprochen! »Hier, die Blumen sind für Sie.«
    So schnell er konnte, eilte er mit dem Koffer in der Hand davon. Er war aus Weide geflochten und nicht groß, etwa im Format

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