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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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einige wenige Erwachsene. Nach und nach wurde er wieder etwas gelassener, obwohl er der Meinung war, dass die Tusanskaja als Zuträgerin fungierte und inzwischen die Miliz oder sonst wen verständigt haben durfte. Allerdings wusste niemand, dass er in diesem Hotel abgestiegen war.
    In dem Koffer lagen auch noch Liebesbriefe von seinen leiblichen Eltern, genauer von Kurt an Tanja. Alexander las sie und musste lächeln - so rosarot waren sie, und voller Versprechungen und Liebesbeteuerungen.
    »Damals noch die schönen Worte, und später?« sprach Alexander laut mit sich selbst. »Kurt, du Schwein. Nach meiner Geburt bist du einfach verschwunden. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem Mutter dich am Nötigsten gebraucht hätte.«
    Alexander dämmerte in einen unruhigen Schlaf hinüber. Er sah sich als Baby auf den Annen von Tanja. Im Traum durchlebte er die Flucht in den Osten, und er sah seine richtige Mutter sterben. Sie versuchte ihn noch einmal zu umfassen, aber es gelang ihr nicht, sie war zu sehwach. Sein Vater Kurt stand daneben und lächelte. Im Traum ging Alexander zu seiner Mutter Tanja und kletterte zu ihr ins Bett. Ganz still Tag er neben ihr, um sie nicht zu stören. Als er ihr das Gesicht streichelte, war es kalt.
    Mitten in der Nacht wachte Alexander auf. Der Anmeldezettel, fuhr es ihm durch den Kopf. Dadurch erfährt die Miliz, wer in welchem Hotel logiert. Hat man meinen noch gestern Abend eingesammelt?
    Alexander wanderte im Zimmer umher. Ich habe mich als Kirjan Morosow eingetragen, versuchte er sich zu beruhigen. Meine echte Identität können sie kaum herausfinden. Trotzdem ertappte er sich immer wieder, wie er aus dem Fenster scharte.
    Am kommenden Morgen, einschlafen konnte er nicht mehr, war er sehr aufgewühlt. Er, der von sich behauptete, Gefühle seien ihm fremd, spürte einen seltsamen Druck in sich wachsen und eine ständig zunehmende Rastlosigkeit. Aber er registrierte auch Dankbarkeit, allerdings nur gegenüber seiner zweiten Mutter Natascha Gautulin. Redete er es sich ein, oder hatte er jetzt die Erklärung, warum zu seinem Ziehvater nie eine richtige Bindung bestand? Gerade dessen Bild in der Weite der verschneiten Tundra, als er dem Wahnsinn nahe und, um sich mit irgend etwas zu beschäftigen, all seine Bekannten aufmarschieren ließ, blass und ohne Konturen geblieben war? Die Entwicklung, sagte er sich, meine richtige Vergangenheit, sie passen genau zu mir. Schon als Kind auf der Flucht, ist mir dieses Verhalten praktisch in Fleisch und Blut übergegangen. Ich werde immer ein Gehetzter bleiben.
    Alexander packte seine Sachen, bezahlte die Rechnung, verzichtete auf das Frühstück und verließ, sich zur Ruhe zwingend, das Hotel. Weg wollte er, raus aus Omsk, hier wurde es für ihn zu gefährlich. Aber wohin? Er stand im Bahnhof und wusste es nicht. Weiter nach Westen? In Moskau untertauchen, dort gleichfalls auf den Spuren der Erinnerungen wandeln und zum zweiten Mal enttäuscht sein? Oder doch wieder zurück in den Osten?
    Wenn überhaupt, überlegte Alexander, dann habe ich nur im Osten eine Chance, mich zu verstecken und in der Anonymität zu leben. Er bestieg den nächstbesten Zug, und während ihn das monotone Rattern einlullte, beschäftigte er sich mit seiner Zukunft. Er hatte niemanden, keine Freunde, keine Verwandten, keine Familie. Würde er sterben, niemand weinte eine Träne oder bemerkte überhaupt, dass es ihn nicht mehr gab. Er - Alexander Gautulin ... Robert Koenen - war nur auf sich gestellt, brauchte deshalb keine Rücksicht zu nehmen und keine Rechenschaft abzulegen. Allein sein Handeln und sein Weg waren entscheidend. Welchen Weg aber sollte er einschlagen?
    Wie elektrisiert zuckte er zusammen und beobachtete die übrigen Mitreisenden, die jedoch keine Notiz von ihm nahmen und noch weniger seine Gedanken erraten konnten. Gedanken, die, wie so oft, in die Vergangenheit schweiften, als fänden sie in der Gegenwart keine Orientierung. Bei Klimkow, dem Blatnoij aus den Lagern 60/61 und SIB 12, blieben sie hängen. Von Kugeln zerfetzt, sah Alexander den Hünen vor sich, der ihm zum Freund geworden war. Durch die Erinnerung intensiv mit diesem schrecklichen Ereignis konfrontiert, glaubte er sogar das Gewicht des Sterbenden zu spüren, den Todesschweiß auf dessen Stirn und die wachsende Blutblume mitten auf der Brust. Klimkow hatte ihm noch Namen und Anschrift eines Mannes gegeben, der nahe bei Nowosibirsk in einer kleinen Stadt leben sollte. Den werde ich aufsuchen, nahm

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