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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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auf dem Totenbett versprochen habe. Den Behörden gegenüber habe ich gesagt, meine Papiere seien auf dem langen Marsch abhanden gekommen. Ohne nachzufragen, stellte man mir später für Dich neue aus, und zwar auf den Namen Alexander Gautulin.
    Tanja, Deine Mutter und meine beste Freundin, liegt in der Nähe von Kustanaj begraben.
    Ich war glücklich, dass Deine richtige Mutter so viel Vertrauen in mich setzte. Außerdem wollte ich Dir auch eine gute Mutter sein. Hoffentlich ist es mir gelungen.
    Und ich war froh, Dich zu haben. Nicht, weil ich selbst keine Kinder bekommen konnte, sondern weil Du mir als Sohn sehr viel bedeutet hast. Für mich bestand kein Unterschied zu einem leiblichen Kind. Dein Vater trug es schon schwerer. Hatten wir Streit, dann schimpfte er auf mich und auf mein weiches Herz, wie er sich ausdrückte. Ich solle doch endlich den Behörden die Wahrheit sagen, aber das hat sich dann mit seinem Tod erübrigt.
    Alexander ... Robert wo Dein leiblicher Vater abgeblieben ist, ob er vielleicht noch lebt, ich weiß es nicht. Wenn überhaupt, dann in der Bundesrepublik Deutschland. Ist er jedoch in russische Gefangenschaft geraten, hat man mit ihm das gleiche gemacht, wie mit allen Wolgadeutschen, die sich Hitler angeschlossen hatten: Tod durch Erschießen.
    Alexander, jetzt kennst Du die Wahrheit. Urteile bitte nicht zu streng über mich, weil ich es versäumt habe, sie Dir schon früher zu sagen.
    Deine ... Mutter?
    Hier hörte der eigentliche Brief auf. Aber an ihn geheftet waren noch zwei Blätter. Auf dem einen stand: »Gern hätte ich Dir auch weiterhin geschrieben, nachdem man Dich eingesperrt hatte, aber die Miliz kam zu mir und verbot es. Du sollst Dich nicht gut benommen haben und seiest ein Spion der Westdeutschen, der noch aus dem Gefängnis an seine westliche Geliebte, auch eine Spionin, Briefe schickt. Man sagte mir, Du seiest unverbesserlich.«
    Und auf dem anderen war zu lesen:
    »Drei Jahre nach Deiner Verurteilung standen plötzlich viele Männer vor meiner Wohnung und stellten so seltsame Fragen: Welche Freunde Du hättest, wo Du Deine Ferien verbracht, von welchem Landesteil Du geschwärmt und ob Du einmal von der Flucht ins Ausland gesprochen hättest. Ich verstand nicht, was all die Herren wollten. Aber sie waren so ungemein ernst, manche sogar richtig frech. Einer beschimpfte mich als Spitzel des eigenen Sohnes und unterstellte mir. ich hätte Mittel und Wege gefunden, mit Dir Kontakt aufzunehmen, und ich hätte Dich üb-
    erredet. Aber zu was sagten sie nicht.
    In den Wochen danach kamen sie wieder und wieder, und jedes Mal fühlte ich mich anschließend sehr schlecht. Du musst wissen, ich habe Probleme mit dem Herzen. Aber die richtigen Tabletten zu bekommen ist nicht einfach.
    Monatelang tauchten die Männer in den dunklen Anzügen unangemeldet auf, immer die gleichen Fragen. Und sie drohten mir, die Rente Deines Vaters, meines Mannes, zu kürzen, ja sogar, mich einzusperren. Ich verlor meine Arbeit und durfte kein Geld verdienen. Es war schlimm, aber jetzt habe ich endlich die wohlverdiente Ruhe. Dafür wird mein Gesundheitszustand von Tag zu Tag unerträglicher. Die Ärzte haben mir geraten, mich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Ich glaube, das wird das Beste sein.«

    Alexander Tag auf dem Bett und starrte zur Decke. Er war verwirrt und erschüttert, und er fühlte mehr als Sympathie für seine ... was war sie denn nun: seine Mutter, seine Amme?
    Für Alexander blieb sie seine Mutter, und er machte sich mit einemmal Vorwürfe, nicht schon früher nach Omsk gekommen zu sein. Dann aber sagte er sich, das wäre für ihn zu gefährlich gewesen, sie hätten hier auf ihn gelauert und ihn geschnappt. Warum sonst die vielen Besuche, von denen seine Mutter geschrieben hatte.
    Wahrscheinlich war es die Miliz, aber falls die Männer Anzüge getragen hatten, der KGB, wie Alexander vermutete. Immerhin war er für sie ein mehrfacher Mörder, ein Devisenschieber und, was in ihren Augen vermutlich am schwersten wog, ein westlicher Spion.
    Vor vier Monaten, als es ihm gerade noch gelang, seinen Häschern dank Leonids Hilfe zu entkommen, hatten sie da auch auf ihn gewartet? Warteten sie etwa immer noch?
    Unvermittelt kam ihm noch eine andere Möglichkeit in den Sinn. War der Koffer ein Köder? Weshalb hatte ihn die Tusanskaja so lange aufbewahrt?
    Alexander erschrak, stellte sich ans Fenster und beobachtete die schmale Straße. Kein Auto war zu sehen, nur Kinder, die spielten, und

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