Der König von Sibirien (German Edition)
Alexander sich vor. liegt ja auf der Strecke. Weil der Erinnerungsfilm chronologisch in ihm ablief, kam er automatisch auf das Versprechen, das er Klimkow gegeben hatte. »Gehe hin und schädige den Staat. Tue es auf deine Weise.«
Und ich Idiot habe diesem Staat noch beim Bau der Eisenbahn geholfen, wollte er sich, genau wie auf der Herreise, als er eine vernichtende Bilanz seines bisherigen Lebens gezogen hatte, vorwerfen. Aber dann stellte Alexander richtig: Nicht den Staat und die Bevölkerung will ich schädigen, sondern die Regierung, das Regime.
Um die Sinnlosigkeit seines Vorhabens zu kaschieren, vermied er es, nach dem Wie zu fragen. Stattdessen putschte er sich künstlich auf: Ich habe mich und meine Rache, und auf der anderen Seite steht der unmenschliche Apparat, der mich kaputtmacht. Soll er es ruhig versuchen. Mal sehen, wer am Ende übrig bleibt.
Gorudne konnte, wollte man der Ansiedlung schmeicheln, als kleine Stadt bezeichnet werden. Am Rande eines freien Platzes im Zentrum der protzige Komplex des örtlichen Sowjet mit der Hammer-Sichel-Fahne, darunter auf einem unübersehbaren Transparent Parolen für die Werktätigen. Eine war besonders hervorgehoben: »Wir müssen den Klassenfeind besiegen.« Daneben das Kulturhaus, die Polizeistation, ein Geschäft mit leeren Schaufenstern und ein größeres Hotel, dann schlossen sich die genormten Wohnblocks an, die aber alle schon älteren Datums zu sein schienen. In Gorudne schritt die Zeit etwas langsamer voran als im übrigen Westsibirien.
Alexander, durchgerüttelt von der Überlandfahrt des Busses, fand in einer Nebenstraße zwischen einzeln stehenden Häusern im Datschenstil eine kleine Unterkunft, die sich Hotel nannte.
Wenig später stand er Viktor Antropowitsch gegenüber. Alles an diesem bärtigen Mann mit den schmalen Lippen und der langen Nase war Misstrauen. Durch einen Gang führte er Alexander an der Küche vorbei in einen Wohnraum. Dort nahmen sie Platz. Und wieder begann das Abtasten mit den Augen.
»Sie wollen Klimkow gekannt haben?«
»Ja.«
Dann schwieg Antropowitsch lange. Zwischendurch nickte er, als führte er in Gedanken Selbstgespräche. »Wie gut?«
»Er ist in meinen Armen gestorben.«
Darauf entgegnete Antropowitsch in sarkastischem Ton: »Das kann er auch in den Armen seines Mörders.«
Alexander zwang sich zur Ruhe, aber seine Stimme klang scharf. »Dort, wo wir waren, hat es viele Mörder gegeben. Und Klimkow ist durch Mörder gestorben, aber in meinen Armen.«
»Hat nichts zu sagen«, meinte Antropowitsch unbeeindruckt. »In meinen Armen sind auch schon viele gestorben.«
»Und durch Ihre Hände?«
»Auch durch meine Hände. Im Krieg.«
So alt sah Antropowitsch nicht aus, überlegte Alexander. Knapp fünfzig. »Warum wohl hat mir Klimkow Ihre Adresse gegeben?« »Im Angesicht des Todes plaudern viele.«
Antropowitsch war immer noch voller Abwehr. Trotzdem stand er auf, verschwand in einem Nebenraum und kam mit Limonade zurück. Er schenkte ein und reichte Alexander das Glas.
»Was sind Sie von Beruf?«
Alexander schaute den Bärtigen an. »Ich arbeite bei der Eisenbahn.«
»Ich habe nach Ihrem Beruf gefragt.«
»Ich habe keinen.«
»Und weshalb?«
»Weil ich ausgiebig Lagerhaft genießen durfte.«
»Sie und Klimkow waren auf der Flucht, als es ihn erwischte?«
Alexander nickte und ärgerte sich, so weit gegangen zu sein. Aber Antropowitsch musste gewusst haben, dass Klimkow zu Zwangsarbeit verurteilt worden war, und der wiederum hatte Vertrauen zu diesem äußerst misstrauischen Mann gehabt.
»Erzählen Sie mir, wie es im Lager zuging.«
Alexander fasste sich kurz.
»Und jetzt, wie er gestorben ist.«
Alexander erzählte, wie der Riese aus dem Flugzeug von hinten erschossen wurde. Klimkow sei ohne Chance gewesen.
»Was genau hat Klimkow zu Ihnen gesagt!«
»Strahlende Sonne auch nachts.«
Antropowitsch schien zu erstarren und das Atmen zu vergessen. Sein linkes Augenlid begann zu zucken.
»Strahlende Sonne auch nachts?« wiederholte er leise, als hätte er sich verhört. Langsam beugte er sich nach vorn. Alles an ihm war angespannt.
Nach einer Weile stand Antropowitsch auf und beobachtete das freie, abgeerntete Feld hinter seinem Haus. Kilometerweit erstreckte es sich und war, abgesehen von den Stoppeln, ohne jeden Bewuchs. Er beugte sich aus dem Fenster, schaute hinaus und schloss es anschließend. Als er sich hinsetzte, wirkte er nervös. Ständig ließ er die Daumen kreisen.
»Er muss Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher