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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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umspielte Alexanders Mund.
    »Ja, manchmal schon. Leid und Verzweiflung, Glück und Freude kann man fast immer erkennen. Was mich jedoch bei den meisten stört, ist die Ausdruckslosigkeit. Gesichter ohne Leben, Menschen ohne Ziel und Hoffnung und ohne Perspektive, die den Anschein erwecken, als litten sie stumm und geduldig unter der Zeit.«
    Alexander zeigte wenig Interesse. »Ist das alles?«
    »In der Bahnhofshalle mit den hohen Decken setze ich mich hin und beobachte die Vorübergehenden. Komm, sieh dir mal die stuckverzierten Schalter an. Und die Restaurants sind für russische Verhältnisse auch nicht zu verachten.«
    Alexander blieb stehen. »Was soll das? Warum willst du, dass ich mir den Bahnhof anschaue?«
    »Damit du ihn so schön findest wie ich.«
    »Und warum soll ich ihn schön finden?«
    »Weil vor mehr als fünfzig Jahren genau in diesem Bahnhof meine große Freiheit begonnen hat. Um mir der Bedeutung meiner Freiheit und der Einmaligkeit meines Lebens bewusst zu werden, suche ich ihn jedesmal auf.« Als verrate er ein Geheimnis, fügte der Ältere mit gedämpfter Stimme hinzu: »Übrigens, ich war erst gestern dort.«
    Alexander, der mit Nikolais Ausführungen nichts anfangen konnte und ihm Sentimentalität unterstellte, schüttelte verwundert den Kopf. Schweigend gingen sie weiter. Nikolai machte Alexander auf die Altstadt von Irkutsk aufmerksam, die mit den ein-und zweigeschossigen Häusern, den verzierten Dachgiebeln und den baumgesäumten Straßen noch gewisse sibirische Züge habe. Sie kamen an einer Fankaufsstraße vorbei mit vielen Geschäften und an einem großen Platz, auf dem jeden Tag der Zentralmarkt abgehalten wurde.
    »Sibirien, das ist etwas Besonderes und nicht mit normalem Maßstab zu messen. Hier bei uns sind fünf Wölfe kein Rudel, 50 Grad Minus keine Temperatur, 500 Gramm Wodka kein Alkohol, 5000 Mücken noch kein Schwärm und 50 000 Bäume kein Wald«, dozierte Nikolai, als sie durch die Wartehalle schritten, in der die Miliz paarweise patrouillierte.
    Alexander fühlte sich unbehaglich beim Anblick der Uniformierten. Wieder draußen, fragte er: »Nikolai, wer bist du?«
    »Sagte ich bereits vor Wochen. Ein Sibiriake.«
    Auf dem Rückweg überquerten sie die zugefrorene Angara. Nikolai blieb auf der Brücke stehen und deutete nach unten. »Auch so ein Phänomen für Sibirien. Die Angara ist der einzige Abfluss des Baikalsees, mehr als dreihundert Flüsse münden in sie, die unzähligen Gletscherbäche nicht gerechnet. Aber der Wasserspiegel steigt nicht um einen Millimeter.«
    »Was willst du damit sagen?«
    » Nichts.«
    Sie gelangten zur Uferpromenade und zum Hotel Intourist. Verwundert registrierte Alexander geschwungene Laternen, Ruhebänke und verschneite Grünanlagen, eine für ihn ungewohnte Eleganz. In einem Film über Odessa hatte er mal etwas Ähnliches gesehen. Langsam spazierten sie weiter bis zu den verwaisten Anlegestellen. Die kleineren Ausflugsschiffe waren in Hallen untergestellt oder an Land aufgebockt, die größeren hatte man im Hafen vertäut, umgeben von einem Ring aus Strohballen, der den Rumpf vor dem Eisdruck schützen sollte.
    Plötzlich standen sie vor ihnen. Drei Männer waren es, alle hatten ein Messer gezückt, und sie verbauten ihnen den Weg.
    »Los, raus mit dem Zaster.«
    Alexander wusste, dass Nikolai fünfzigtausend Rubel mit sich trug. »War haben nichts.«
    Die Männer kamen näher. Alexander griff unter seinen Wintermantel und riss die Pistole hervor. Zwei der Kerle flüchteten, der dritte schnappte sich Nikolai, benutzte ihn als Schutzschild und setzte ihm das spitze Messer an den Hals.
    »Wenn du zuckst, dann ist er hin.«
    »Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun?« richtete Alexander ganz ruhig das Wort an den Messerhelden. Die Straßenbeleuchtung erhellte die gespenstische Szene notdürftig.
    »Lass die Pistole fallen.«
    »Nein.«
    »Dann steche ich deinen Kumpel ab.«
    »Und ich durchlöchere dich anschließend. Das weißt du genau.« Der Mann wurde nervös. »Ich sage es nicht noch einmal. Lass die Waffe fallen.«
    »Nein.«
    Alexander hob die Pistole an. Der Messermann drehte Nikolai so, dass er sich fast vollständig hinter ihm verstecken konnte. »Ich spaße nicht.«
    Alexander mit einer Kälte in der Stimme, die sogar Nikolai zusammenzucken ließ: »Ich auch nicht. Diesen Herrn kenne ich kaum. Er ist weder mein Bruder, noch bedeutet er mir sonst was. Und er hat fünfzigtausend Rubel bei sich. Wenn du ihn umbringst, dann tust

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