Der König von Sibirien (German Edition)
du mir einen Gefallen.«
Der Mann stutzte, Alexander schoss ihm aus drei Metern Entfernung mitten in die Stirn. Der Getroffene fiel nach hinten, mit weit aufgerissenen Augen, wie in einem letzten Erstaunen. An Nikolais Hals wurde ein roter Fleck größer, wo das Messer die Haut aufgeritzt hatte. Er trat zu Alexander und starrte ihn an. »Ich habe schon vieles gesehen, aber deine Kaltblütigkeit übertrifft alles.«
Alexander ließ die Waffe verschwinden. »Es ging ja nicht um meinen Arsch ... pardon. mein Leben. Komm, lass uns versehwinden.«
»Ich warte hier auf die Miliz.« Nikolai presste ein Taschentuch auf die blutende Wunde.
»Gut, dann bis später.«
»Und du bleibst auch. Dir geschieht nichts.«
»Das kannst du ...«
»Dir geschieht nichts. Du willst doch wissen, wer ich bin?«
Alexander nickte.
»Dann bleibe.«
Ohne recht zu wissen, warum er es tat, vertraute Alexander der Zusicherung des Älteren. Die von Nikolai verständigte Miliz traf zehn Minuten später ein. Der Sibiriake zeigte seinen Ausweis und sprach mit den Beamten. Die hörten aufmerksam zu und nahmen eine respektvolle Haltung ein. Nikolai deutete auf Alexander, und der bekam mit, dass er ihn als seinen Leibwächter bezeichnete, der ihm das Leben gerettet habe. Kurz schauten die Polizisten zu ihm hin, beachteten ihn aber nicht weiter. Als Nikolai geendet hatte, fertigte einer von ihnen ein Protokoll an, das der Sibiriake unterschrieb. Die Milizionäre verabschiedeten sich wenig später, mit Alexander wechselten sie kein Wort.
»Wer ist der Tote?«
»Ein langgesuchter Krimineller, hat schon viele Straftaten auf dem Buckel. Brauchst keine Gewissensbisse zu haben.«
»Nikolai, wer bist du?«
Spöttisch blinzelte ihn der Grauhaarige an. »Finde es heraus, Kir-jan Morosow. Oder sollte ich besser Alexander Gautulin sagen?«
Sie blieben noch einen Tag in Irkutsk. Alle Fragen, waren sie auch noch so drängend ausgesprochen oder geschickt formuliert, woher Nikolai seinen richtigen Namen wisse, wimmelte dieser ab. Stattdessen machte sich der Ältere einen Spaß daraus. Alexander in der eigenen Unsicherheit schmoren zu lassen. Wenn es in der Absicht des Sibiriaken Tag, Neugier als Bindung zu benutzen, dann ging seine Taktik auf, denn der Jüngere fühlte sich auf unerklärliche Weise zu ihm hingezogen. In dem gleichen Maße, wie Nikolai sein Wissen über Alexander Macht verlieh, kam der sich unsicher und entblößt vor. Vielleicht bedeutete Nikolai ja sogar unterschwellig eine Bedrohung, da er ihm mit all seinen Informationen und seinem Wissen gefährlich werden konnte. Indem er vorerst bei ihm blieb, war aus Alexanders Sicht die sich abzeichnende Gefahr, entdeckt zu werden, womöglich kontrollierbar.
Ganz nebenbei erwähnte Nikolai, was er gestern noch alles bei sich getragen habe, nicht nur die fünfzigtausend Rubel. Er zeigte Alexander einen ähnlichen Beutel wie den des Amerikaners Tom, jedoch wesentlich größer und praller gefüllt. Als Nikolai den Beutel öffnete, kullerten große farblose Steine in seine Hand.
»Wem gehören die?«
»Mir.«
»Was haben sie für einen Wert?«
»Das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, was ich dafür eintauschen kann.«
»Und woher stammen ...«
Nikolai legte einen Finger auf den Mund. »Pscht. Nicht so neugierig, mein junger Freund.«
Im Hotel Angara tranken sie Kaffee, Alexander aß ein Stück Kuchen und dann noch eines.
»Morgen fliegen wir nach Bratsk.«
»Wir?«
Nikolai nickte, als sei das eine längst beschlossene Sache. »Wegen der ...« Alexander deutete auf Nikolais Brust. »Ja. Aber nicht nur.«
»Weswegen denn noch?«
»Wirst schon sehen.«
»Und du bist überzeugt, ich komme mit?«
Nikolai lächelte amüsiert.
Wenn Alexander sich unbeobachtet glaubte, dann forschte er in dem Gesicht des Sibiriaken. Manchmal kam es ihm wie gegossen vor, so starr. Dann wieder, wenn er lachte, und Nikolai lachte gerne, zerplatzte es vor Fröhlichkeit und war von Furchen und Faltchen durchzogen. Ungewöhnlich auch die Augen, die den Jüngeren manchmal voller Übermut musterten.
»Was ich dich noch tragen wollte, Nikolai: Warum bist du so versessen auf Irkutsk: Weil Kosaken es gegründet haben?«
»Sage nur, dir gefällt ehe Stadt nicht.«
»Doch, schon.«
»Ist das nicht Grund genug?«
Alexander zögerte. »Ich glaube, du hast einen wichtigeren. Ist es
so?«
»Später vielleicht.«
Alexander ließ sich aller nicht vertrösten. »Vor mehr als fünfzig Jahren war es, nicht
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