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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Winterpiste und von erstaunlich vielen Lkw befahren. Etliche von ihnen benutzten die ganze Breite der durch farbige Pfosten markierten Strasse, denn die Fahrer hatten zu oft Flasche angesetzt.
    »Jetzt kommt ein tiefgehender Einblick in die sibirische Wirklichkeit«, scherzte Nikolai und gab dem Chauffeur Order, einen bestimmten Punkt anzusteuern.
    »Lass uns eine kleine Pause machen zum Entleeren.«
    Zögernd stieg Alexander aus. Beißend war die Kälte, wie Schnitte in seinem Gesicht. Er schlug den Kragen hoch und setzte die Schapka auf. Tief vergrub er seine Hände in den Taschen. Genau dort, wo der Mantel aufhörte, etwa Mitte Schienbein, hatte er das Gefühl, als besprengte jemand seine nackten Beine mit eiskaltem Wasser, das sofort gefror.
    »Was gibt es denn?«
    »Komm mit.«
    Alexander stapfte hinter Nikolai her. »Hier, eine sibirische Toilette.«
    Alexander betrachtete die seltsame Holzkonstruktion. Auf verschneiten, holprigen und glitschigen Bohlen gingen sie entlang einer Bretterwand auf einen Durchgang zu. Dahinter befand sich eine Bude, wackelig und windschief, die jeden Augenblick unter der Schneelast zusammenzubrechen drohte. Dann stand er im Raum der Verrichtung. Kein Balken, kein Sitz, noch nicht einmal ein Loch im Boden, in das er was hätte plumpsen lassen können. Die Grube war übervoll, aus ihr ragte ein kleiner Berg aus gelbem und braunem Eis. Das Eis stank trotz der Kälte, und von dem kleinen Berg schlängelten sich, wie erstarrte Ströme aus Lava, allerdings in Gelb, Spuren des Urins.
    Als Alexander den Hosenlatz öffnete, fühlte er jemanden das Messer ansetzen, so kalt war die Luft. Für wenige Sekunden stieg dampfend die Wärme auf, dann war der Urin auch schon gefroren.
    »Na, zuviel versprochen?« fragte Nikolai in spöttischem Ton.
    »Warum hast du mir das gezeigt?«
    Nikolai philosophisch: »Wer das Land verstehen will, muss es zuerst einmal kennen lernen .«

    Sie waren da. Mehrere durch Waldstreifen getrennte Gebäude machte Alexander aus, und das imposanteste etwas abseits entpuppte sich als Nikolais Holzvilla. Wohl dreißig Meter war sie lang, fünfzehn breit, zweigeschossig und mit einem gewaltigen, weit überstehenden Dach. Vor jedem Fenster befanden sich Klappläden, aber nicht blau oder grün gestrichen, wie sonst üblich, sondern in einem dunklen Braunton. Fenstereinfassungen und Stürze waren verziert mit Schnitzereien, ebenso die Eingangstür und die Bohlen an den Trauf-und Giebelseiten.
    Zuerst jedoch führte der Sibiriake Alexander zu einem anderen Gebäude, vielleicht hundert Meter vom Haupthaus entfernt. Das sei sein Arbeitsbereich, erklärte er. Ständig säßen etwa zwanzig Personen in den einzelnen Zimmern und hätten Kontakt mit den Tolkatschi zu halten, mit Behörden und Produktionsstätten zu reden oder etwas zu arrangieren. Nikolai stellte ihm Minsk vor, einen älteren, zäh aussehenden Mann, knapp mittelgroß und mit hellgrauen Augen. »Der einzige Vertraute, den ich habe.« Wie Nikolai das sagte, in überaus ernsten Ton, Minsk dabei anschaute und dieser verlegen lächelte, konnte sich Alexander einiges zusammenreimen. Zwischen den beiden musste eine tiefe Freundschaft bestehen.
    »Ich habe übers Land verteilt zehn Stellvertreter, auf die ich mich voll und ganz verhissen kann.«
    »Aber keiner ist in der Lage, das Geschäft zu führen.«
    »Ich bin der einzige und werde mir nicht reinreden lassen.«
    Der Sibiriake zeigte Alexander die Arbeitsräume der vier Sekretärinnen, deren Hauptaufgabe Telefonieren und Tippen sei. Anschließend betraten sie das Büro eines Stellvertreters, Nikolais direktem Kontaktmann und Berater, mit dem er hier vor Ort zusammenarbeite und der ihn in seiner Abwesenheit vertrete. Zwei Telefonapparate standen auf dem großen Schreibtisch, ein Fernschreiber neben dem Fenster, dazu Radio, Fernseher, eine kleine Bar und in der Ecke eine Sitzgarnitur.
    »Ich habe dich unterschätzt.«
    Der Sibiriake schmunzelte. »Das tun alle.«
    Sie schlenderten über einen vom Schnee geräumten Weg. Nikolai öffnete die schwere Eingangstür der Holzvilla und ließ Alexander eintreten. Der blieb in der großen Halle stehen und merkte nicht, wie jemand ihm den Mantel und die Schapka abnahm. Er sah Ölgemälde an den Wänden, Plastiken aus schwarzem Granit auf extra errichteten Sockeln und Podesten und chinesische Vasen hinter Glas. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich aus Afghanistan, der jeden Tritt dämpfte, daneben einer aus Turkmenistan, wie Nikolai

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