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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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größer als das bisherige. Für mindestens dreitausend Häftlinge hatte man es konzipiert, also zehnmal so groß wie Perm 35. Zusammengepfercht waren jedoch insgesamt mehr als fünftausend Häftlinge, wie er später erfahren sollte.

    »Alexander Petrowitsch Gautulin.«
    »Hier, Genosse Natschalnik-Olp.«
    »Vortreten!«
    Und dann stand Alexander dem Chef eines Lagerbezirks gegenüber, dem Natschalnik-Olp. Im Vergleich zu der Kälte seiner Augen war der Schnee geradezu warm. Jeder Zentimeter an diesem schlanken, hoch gewachsenen Mann strahlte ein Übermaß an Arroganz und Unnahbarkeit aus. Und Unnachgiebigkeit und Brutalität.
    »Mitkommen!«
    Alexander, der noch weiche Beine von der langen Fahrt hatte, konnte dem Offizier kaum folgen. Und schon traf ihn unerbittlich der Knüppel, das wohl entwürdigendste Instrument in allen sowjetischen Straflagern. Entwürdigend, weil der Knüppel ein Relikt aus der Leibeigenschaft war und weil man das Vieh mit einem Knüppel trieb. Aber zwischen Vieh und Strafgefangenen besteht ja auch kaum ein Unterschied.
    In einem kleinen Holzhaus war eine Art Büro eingerichtet. Während der Natschalnik-Olp auf einem Stuhl gleich neben dem warmen Ofen Platz nahm, klärte ein anderer Bediensteter Alexander im Schnelldurchgang über die Gepflogenheiten des Lagers auf. »Erster Fluchtversuch sechs Monate Eiskeller und drei Jahre Haftverlängerung. Zweiter Fluchtversuch ein Jahr Eiskeller.« Von einer Haftverlängerung sprach er nicht mehr. Alexander erfuhr noch am gleichen Tag, dass der bisherige Rekord eines Gefangenen im Eiskeller bei knapp drei Monaten Tag, alle anderen waren vorher krepiert.
    »Das Arbeitssoll beträgt pro Tag sieben Tonnen.«
    Alexander stutzte. »Eine Frage, Genosse Natschalnik-Olp: Ist das hier ein Bergwerk?«
    Der Angesprochene lächelte unmerklich, und sein Adlatus antwortete: »Sicher, wir bauen Bauxit ab.«
    »Ich bin Ingenieurstudent für Bergbau, Genosse Natschalnik-Olp.«
    Der Hochgewachsene reagierte nicht.
    »Ich werde mich bemühen, alle Anforderungen zu erfüllen. Mehr als zu erfüllen, Genosse Natschalnik-Olp«, ereiferte sich Alexander.
    Der Vertreter und ein Wachposten brachten Alexander zu einer Baracke, deren Rückseite an einen Hügel gebaut war. Drinnen roch es feucht und nach Moder, und es war verdammt kalt.
    »Da hinten das Bett ist frei.« Der Wachposten deutete auf ein kastenähnliches Gebilde, über das man eine Zeltplane geworfen hatte. Wie gemütlich und komfortabel war dagegen seine Schlafstatt in Perm 35 gewesen.
    »Danke, Genosse Natschalnik-Olp.«
    Obwohl er nicht der Leiter des Lagerbezirkes war, wertete Alexander den Adlatus bewusst auf. Diese Taktik hatte er schon in Penn 35 gelernt. Alexander, der seine ganzen Habseligkeiten in einem Kartoffelsack verstaut hatte, ging, nachdem man ihn allein gelassen hatte, zu dem Kasten und sah unter die Plane. Er entdeckte einen Häckselsack, normalerweise gefüllt mit Stroh, der so gotteserbärmlich stank, dass er verfaultes Gras darinnen vermutete.
    Anschließend inspizierte Alexander die Baracke. Auch hier waren die Hälfte der Fensterscheiben kaputt, und die Bewohner hatten die Löcher notdürftig mit Holzbrettern vernagelt, die mehr oder weniger dicht abschlossen. In der Ecke stand ein Ofen, daneben lagen einige nasse Holzscheite. Das Ofenrohr führte in einem weiten Bogen durch den ganzen Raum, um am hinteren Ende nach draußen zu verschwinden. Und genau an dieser Stelle tropfte es stetig, das Dach war undicht. Als Alexander nach unten blickte, konnte er durch die weit auseinanderklaffenden Bodenbretter den nackten Fels sehen. Das erklärte, warum es in der Behausung so kalt war.
    Einen Waschraum gab es nicht, auch keine Toilette, dafür aber einen unscheinbaren Nebenraum, der nur von außen zu öffnen und zu schließen war. Alexander hatte schon davon gehört, dass man solch kleine separate Zellen in der Gefangenenunterkunft einrichtete, damit die Selbstjustiz der Inhaftierten der Lagerverwaltung einen Großteil der Arbeit abnahm. Wer das Plansoll nicht erfüllte oder sonst gegen die Vorschriften verstieß, wurde vom Barackenleiter über Nacht in das leere Kabuff gesperrt. Diese Erziehungsform durch Gleichgesinnte wirkt Wunder und soll zu einer seltsamen Art von Solidarität führen.
    Es war längst dunkel, als die Strafgefangenen schlurfend und in sich zusammengesunken von der Arbeit kamen und sich die Baracke füllte. Verwundert sahen die ausgemergelten Gestalten Alexander an. Misstrauen trat

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