Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
Sie machte eine ausladende Bewegung mit der linken Hand in Richtung des dunklen Forsts, der sich am nördlichen Horizont abzeichnete. „Hier gibt es nur Wald, sonst nichts.“
Zoé nahm einen Schluck aus dem Becher. „Und den Kalibergbau, dachte ich?“
Einige der Jugendlichen lachten verhalten. „Der Bergbau ist schon lange vorbei.“ Anke schaute mit leerem Blick in die Finsternis. „Mein Uropa hat noch unter Tage gearbeitet und später für die Muna – bis alles in die Luft geflogen ist.“
Zoés Augen weiteten sich hinter dem Dampf des Kaffees. „Eine Explosion? Wann war das denn?“
„Mitte der fünfziger Jahre.“
„Und nach der Explosion ist nur noch das Bergwerk Wittekind/Hildasglück übrig geblieben?“
Gelächter erschallte, und die Jugendlichen feixten miteinander. Die Blonde guckte Zoé verständnislos an. „Wer hat dir denn diesen Schwachsinn erzählt?“
„Hab ich gelesen.“
Der Rothaarige hatte sich wieder zu der Gruppe gesellt, nachdem er den VW-Bus umgeparkt hatte. Die Bierdose hielt er noch immer in der Hand. „Hör mal, bei Wittekind und Hildasglück handelt es sich um zwei Schächte, die schon 1956 mit Bohrschlamm verfüllt worden sind, nachdem sie fast abgesoffen waren. Die Endteufe war schon viel früher nicht mehr zu erreichen.“
Auf Zoés Gesicht spiegelte sich ihre Verständnislosigkeit wider. „Die Teufe ist abgesoffen?“
Der Junge schüttelte den Kopf und setzte die Dose noch einmal an die Lippen. Nachdem er getrunken hatte, blickte er Zoé an, als ob sie ein kleines Kind wäre. „Pass mal auf! Die Teufe zeigt die Tiefe der Schachtröhre an, die die Bergleute in den Boden gebuddelt haben, um an die Mineralien zu gelangen.“ Sein Gesichtsausdruck war jetzt ernst, selbst die Piercings schienen Haltung angenommen zu haben. „In Volpriehausen haben wir einen sogenannten Doppelschacht, Wittekind und Hildasglück, beide ungefähr zwei Kilometer voneinander entfernt. Kannst du mir folgen?“
„Klar, sprich weiter. Was ist los mit den Schächten?“
„Langsam, langsam. Ich erzähle dir die Geschichte von Anfang an, okay?“
Zoé nickte.
„Schon 1896 hat man hier Kali gefunden. Im zwanzigsten Jahrhundert begann der Abbau. Vor allem Hartsalz aus Steinsalz, Sylvin, Kieserit und Ton, später auch Kainit.“
Bei seinen Worten löste sich die Gruppe der Jugendlichen unter vereinzelten Stöhnlauten auf. Die Mädchen und Jungen zogen sich zu dem geparkten Auto zurück. „Nicht schon wieder, Tobi!“, lautete ein genervter Kommentar. Doch zu Parkers Erleichterung ließ sich der Rotschopf namens Tobi nicht aufhalten. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, als er Zoé fachmännisch in die Geschichte des Bergbaus in Volpriehausen einweihte.
„Schon in den zwanziger Jahren geriet das Kaliwerk in wirtschaftlich schwierige Zeiten, so dass der damalige Direktor sich um eine andere Verwendung bemühte, um die wenigen noch verbliebenen Arbeitsplätze zu sichern. 1937 hatte er endlich Erfolg. Die Wehrmacht übernahm die Über- und Unteranlagen des Werks Wittekind-Hildasglück.“
„Um nach Kali zu suchen?“
„Nein, um es als Muna zu nutzen.“
Zoé blinzelte den Jungen fragend an. „Hättest du die Freundlichkeit, mir zu verraten, um was es sich bei einer Muna handeln könnte?“
„Eine Muna ist eine Munitionsanstalt. Das Bergwerk war damals die größte Heeresmunitionsanstalt der Wehrmacht, mit einer Lagerkapazität von dreißigtausend Tonnen. Außerdem wurden die Untertageeinrichtungen auch für die Munitionsfertigung genutzt. Gearbeitet haben dort Frauen aus dem Reichsarbeits- und Kriegshilfedienst, aber auch Kriegsgefangene, Deportierte und Zwangsarbeiter aus dem nahe gelegenen Jugend-KZ Moringen. Ab 1944 diente die Salzmine dann zunehmend auch als Schutzraum für Kunstwerke und wertvolle Buchbestände der Uni Göttingen.“ Tobi hielt einen Augenblick inne und setzte dann hinzu: „Die unterirdischen Lagerräume waren absolut bombensicher.“
Parker fragte sich, woher das detaillierte Wissen des Jungen stammte, doch er wollte den Redefluss nicht unterbrechen. Einen Gedanken aber musste er loswerden. „Gab es auch Lieferungen aus weiter entfernten Städten des Deutschen Reichs?“
„Was meinst du damit?“
„Königsberg, zum Beispiel.“
Tobi musterte Parker nachdenklich und nutzte die Gesprächspause, um einen kräftigen Schluck aus der Bierdose zu nehmen. „Ja“, fuhr er fort. „Die Uni Göttingen hatte eine Bernsteinsammlung der Uni Königsberg in
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