Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
verstorbenen Frau Kreifelts bringen.“
Er schaute ihr nach, wie sie den Gang zu seiner Linken hinunterging, wobei ihre Schuhe auf dem dunklen Steinboden klapperten. Ein wenig unschlüssig näherte er sich der Ärztin auf der Besucherbank. Die Frau hatte sich tief über ihr Handy gebeugt, ihr Gesicht war hinter langen blonden Strähnen verborgen, die nach unten fielen. Sie schien hochkonzentriert zu sein und ihn gar nicht zu bemerken.
Außer ihr war niemand auf den Fluren oder im Eingangsbereich zu sehen. Das Gebäude machte einen völlig verlassenen Eindruck. Eine sonderbare Stille erfüllte die Luft.
Er setzte sich auf die Bank neben die Ärztin, und sie schaute auf. Hellbraune Augen, umrandet von einer schwarzen Brille, trafen seinen Blick und verharrten einen flüchtigen Moment. Sie lächelte. „Hallo.“
„Hallo.“ Parker wollte noch etwas sagen, aber da hatte sie den Blick schon niedergeschlagen und befasste sich erneut mit dem Telefon.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass die Staatsanwältin am Ende des langen Gangs stehen geblieben war und an eine Tür klopfte, um dann im Büro dahinter zu verschwinden. Als er seinen Blick wieder nach vorne richtete, hatte er das vage Gefühl, als ob die Ärztin ihn heimlich kurz gemustert hätte.
Wartend saß er auf der abgewetzten Plastikbank, und langsam kroch die Traurigkeit über Annes Tod, die er für einen kurzen Augenblick verdrängt hatte, wieder in ihm hoch. Um sich abzulenken, kramte er ebenfalls sein Handy aus der Tasche. Nach wenigen Tastendrucken erschienen im Display erneut die vergeblichen Anrufe. Sie hatte zwischen halb elf abends und Mitternacht viermal versucht, ihn zu erreichen.
Was war bloß passiert?
Er hoffte, dass ihm der Arzt und die Staatsanwältin hierauf eine Antwort geben würden. Stundenlang hatte er sich im Hotel den Kopf darüber zerbrochen, ohne eine Erklärung zu finden. Eine Frage quälte ihn dabei ununterbrochen.
Würde Anne noch leben, wenn er sein Handy nicht abgestellt hätte?
„Herr Professor. Dies ist Dr. Beltram“, unterbrach die Staatsanwältin seine seelenwunden Gedanken. „Er wird uns zu Frau Kreifelts begleiten.“
Er erblickte einen Mann mit einem erheblichen Brustkorb und muskulösen Armen, die seinen weißen Kittel deutlich zum Spannen brachten. Durch die Gläser der eckigen weißen Brille schauten teilnahmslose Augen.
„Kommen Sie“, sagte Dr. Beltram und ging mit der Staatsanwältin auf die große Freitreppe zu, die zum Keller hinunterführte.
Parker folgte ihnen in den Kellerbereich. Nachdem sie mehrere Gänge durchschritten hatten, öffnete der Arzt eine dunkelgrüne Tür, hinter der es vollkommen dunkel war. Beltram drückte einen Schalter, und kaltes grelles Licht flammte aus den Deckenröhren auf, das einen großen, weiß gekachelten Raum zum Vorschein brachte. In der Mitte des Raums befanden sich zwei graue Seziertische. Auf dem linken zeichnete sich ein weiblicher Körper unter einem weißen Tuch ab.
Er betrat den Raum und bewegte sich wie in Trance auf den Tisch mit der Leiche zu. Ein starker Geruch nach Desinfektionsmitteln hatte sich ausgebreitet. Er versuchte zu schlucken, aber seine ausgetrocknete Kehle war wie zugeschnürt. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und er wischte sie mit dem Ärmel seines Mantels ab. Der beige Wintermantel lag plötzlich zentnerschwer auf seinen Schultern. Er zog ihn aus, legte ihn auf den freien Tisch und merkte, wie Kälte sich über seinen Rücken ausbreitete.
Das Leichentuch bildete ein vertrautes Relief. Annes Körperbau war unverkennbar. Er stieß Luft durch seine fast geschlossenen Lippen und atmete sie sofort wieder ein. „Bitte nehmen Sie ihr das Tuch ab.“
Der Arzt stülpte sich geschickt zwei grüne Plastikhandschuhe über die Hände, nahm die beiden Kopfenden des weißen Tuchs und deckte das Laken bis zum Hals des leblosen Körpers auf.
Und dann starb die letzte irrationale Hoffnung, die er die ganze Zeit noch gehegt hatte. Sosehr er es sich auch gewünscht hatte, es war keine Verwechslung. Auf dem grauen Obduktionstisch lag die Leiche von Anne.
„Ist das Frau Dr. Anne Kreifelts, Herr Professor?“, vernahm er die Stimme der Staatsanwältin.
Man hatte ihr die Augen geschlossen, aber Parker wusste, dass sich hinter den Lidern kein strahlendes Grün mehr befand. Das Gesicht wirkte hohl und eingefallen, die Haut matt und gelblich. Totenfahl. Der Glanz, der ihren rötlichen Haaren eine besondere Schönheit verliehen hatte, existierte
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