Der Königsschlüssel - Roman
erzählt. Die Häuser stehen auf Füßen, damit ihre Besitzer nicht an einen Ort gebunden sind. Sie gehen einfach mit ihren Häusern gemeinsam fort.«
»Auf einem Bein?«, fragte Cephei, der neben ihr hockte. »Dann kann das Haus doch nur hüpfen, und im Inneren purzelt alles durcheinander.« Belustigt klang seine Stimme jedoch nicht.
»Es ist ein Hexenhaus«, zischte Vela. »Eine Hexe wird schon wissen, wie sie dieses Durcheinanderpurzeln verhindert.«
Diese Geschichten über den Rauschwald waren also wahr - es gab hier eine Hexe. Vela konnte es kaum glauben. Warum nur waren sie nicht um den Wald herumgegangen?
Urs legte ihnen seine mächtigen Pranken auf die Schultern und flüsterte ebenfalls: »Wir sollten hier nicht bleiben, wenn es stimmt, was du sagst. Mit einer Hexe sollten wir uns nicht anlegen. Wer weiß, was die mit uns anstellt. Sicher nichts Gutes.«
Vela nickte, die Angst saß ihr im Nacken. Nicht im Traum hätte sie daran gedacht, einmal wirklich vor einem dieser Hexenhäuser zu stehen. Sie erinnerte sich an die Hexenzelle im Kerker und daran, welche Mühen sich der König gemacht hatte, um die Hexen aus seinem Reich zu verbannen. Solche Mühen nahm er sicher nicht auf sich, wenn die Hexen keine Gefahr wären.
Cephei starrte weiter auf das Haus und bewegte sich nicht. Deshalb zog sie an seiner Jacke. »Wir gehen«, murmelte sie und deutete über ihre Schulter nach hinten, aber er schien sie nicht zu hören. Verärgert kniff sie die Augen zusammen.
Urs schien zu merken, dass sich Cephei nicht losreißen konnte, deshalb zog er ihn einfach nach oben und wollte gerade einen Schritt aus dem Versteck heraustreten, als eine Stimme sagte: »Stehen bleiben!«
Vela zuckte zusammen und blieb einfach auf dem Boden hocken. Sie starrte auf Urs’ und Cepheis’ Hosenbeine, verwünschte den Jungen, der so langsam gewesen war, und hoffte, dass der Unbekannte sie noch nicht gesehen hatte.
»He, du da, aufstehen, wird’s bald«, befahl die Stimme jedoch, und langsam richtete sie sich auf. Dabei knackten ihre Knie, und die Hände begannen zu zittern.
Und jetzt umdrehen.« Langsam wandte sie sich der Stimme zu, aber es war nichts zu sehen, hinter ihnen standen noch immer Bäume, die dunkelgrüne Schatten auf den Boden warfen. Sie sah Urs an, der weiter Cephei an der Schulter gepackt hielt und ebenso ratlos in die Runde blickte wie sie. Eine Weile warteten sie darauf, dass die Stimme etwas sagen und ihnen Anweisungen geben würde, aber das tat sie nicht. Nur das leise Lied des Waldes war zu hören. »Bist du die Hexe?«, flüsterte Cephei plötzlich und be kam rote Flecken im Gesicht. Am liebsten hätte Vela ihm auf den Kopf gehauen. Was dachte er sich eigentlich? »Seh ich aus wie eine Hexe?«, ließ sich die Stimme wieder vernehmen. »Keine Ahnung, ich sehe dich ja nicht.« »Nicht? Oh, das hatte ich vergessen.« Und auf einmal geriet die Luft unter einem der Bäume in Bewegung, als wäre es plötzlich so heiß geworden, dass die Umgebung verschwimmt, und dann formte sich aus dem Braun der Rinde, dem Grün des Bodens und dem Flimmern des Lichts ein Wesen, wie Vela noch nie eins gesehen hatte.
Es war irgendwie menschlich, so groß wie ein siebenjähriges Kind, besaß spitze Ohren und lange Finger, die Bogen und Pfeil hielten. Die blonden Locken fielen ihm wirr ins Gesicht und verdeckten die schräg stehenden Augen. Das Wesen hatte ein hübsches Gesicht und ein bisschen zu viel auf den Rippen. Es sah aus wie ein niedlicher dicker Junge, der gern Kuchen naschte.
Nur der Bogen mitsamt eingelegtem Pfeil, der genau auf das Herz des Bären zielte, passte ganz und gar nicht dazu.
»So, jetzt seht ihr mich aber, oder? Das erklärt auch, warum ihr so komisch in der Gegend herumschaut. Das passiert mir manchmal, dann vergesse ich, dass ich noch Tarnfarben trage, und ich beginne mit Leuten zu reden, die sich dann immer sehr erschrecken.« Das Wesen seufzte. »Das ist sehr unangenehm, wenn sie mit mir schimpfen.«
Vela sah nervös auf den Pfeil, dann Urs ins Gesicht, der etwas gelassener wurde. Seine Pranke löste sich von Cepheis Schulter. »Du siehst ein bisschen aus wie die Elfen im Osten, in den Wäldern des Grünen Herzens.«
Wieder ein Seufzen. »Ich bin auch ein Elf. Aber ich weiß, warum du das so sagst. Ich bin eben ein bisschen kräftiger gebaut als andere Elfen. Das kommt bei uns nicht oft vor. Liegt in der Familie, wir besitzen alle diesen kräftigen Knochenbau.« Der Elf nickte und fuhr sich mit der Hand
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