Der Königsschlüssel - Roman
möglichst bequem machten, übernahm Urs die erste Wache und erzählte nun wieder fröhliche Geschichten aus seinem Wanderleben, bis sie eingeschlafen waren.
DER ALTARSTEIN
Vier lange Tage gingen sie so weiter. Noch immer war das Lied des Waldes dunkel, und seit dem Angriff auf Vela waren sie alle nervös und zuckten bei unbekannten Geräuschen zusammen. Selbst Urs griff häufiger zum Schwert, die riesige Hand war ihm unbekannt gewesen, der Wald hatte sich verändert, seit er hier vor Jahren durchgewandert war. Der Weg war schon lange überwuchert, und sie folgten nun meist weniger gut erkennbaren Tierpfaden.
Jeden Tag kletterte Cephei auf einen hohen Baum, um am Sonnenstand die Himmelsrichtung zu bestimmen. Er hielt nach dem Ende des Waldes Ausschau, doch in jeder Richtung sah er nur grünes Laub.
Seine Hände rochen nach Harz, und einmal griff ihn eine Fledereule an, deren Nest mit Jungen er übersehen hatte. Mit ihren Flügeln schlug sie ihm ins Gesicht, bis er schützend einen Arm hob und fast vom Baum gefallen wäre.
Frisches Trinkwasser fanden sie genug, sie sammelten Beeren und gruben essbare Wurzeln aus. Ein paarmal warf Cephei mit Steinen nach Vögeln, die sich ihren Vorräten näherten. Doch meistens traf er nicht, und Vela konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.
Urs stellte sich bei der Jagd geschickter an. Am dritten Tag, als sie kaum Beeren fanden und Cephei vom Baum rief: »Ich kann keine Wurzeln mehr sehen!«, holte der Bär eine dreigeteilte Armbrust aus seinem Rucksack hervor und schraubte sie zusammen.
»Bleibt ihr hier, ich komme wieder«, sagte er und schlug sich in die Büsche, behände und beinahe lautlos - was sie ihm kaum zugetraut hätten, so groß, wie er war.
Vela blieb mit Cephei schweigend zurück. Er postierte sich neben Urs’ Rucksack, als wolle er ihn mit seinem Leben verteidigen. Vela sah, wie er immer wieder nach dem Dolch langte, als könnte der ihm Sicherheit geben, dabei hatte er schon bewiesen, wie ungeschickt er damit war. Aber sie wollte nicht schon wieder Streit anfangen, also sagte sie nichts.
Stattdessen musste sie an Kassia denken und die Feldarbeiter, die sie vor dem Rauschwald gewarnt hatten. Kein einziger Mensch war ihnen bisher im Wald begegnet, dabei gab es trotz der ganzen Geschichten, die sich um ihn rankten, immer wieder Wagemutige, die den Weg durch dieses grüne Labyrinth einschlugen. Aber wo waren die jetzt? Konnte es wirklich sein, dass sie tagelang liefen, ohne jemandem zu begegnen?
Furchtbar viele Menschen lebten am nördlichen Ende in Velas Heimat auch nicht, manchmal sah man wochenlang keine fremden Gesichter, trotzdem waren da immer Leute gewesen. Einsamkeit hatte Vela bisher nicht gekannt.
Unruhig begann sie auf und ab zu gehen. Vielleicht hatte Kassia ja Recht gehabt, und der Wald machte die Leute verrückt.
»Kannst du nicht mal damit aufhören?« Genervt sah Cephei von seinem Platz neben dem Rucksack auf, und Vela verschränkte die Arme, blieb aber stehen.
Sie versuchte, über sich den Himmel auszumachen, aber durch das dichte Blätterdach war nichts zu erkennen. Daheim hatte sie immer den Himmel sehen können. Er hatte sie gewarnt, wenn Sturm aufzog, oder auch wenn die Sonne am Mittag heißer brennen würde als das Schmiedefeuer.
Leise seufzte sie und tigerte wieder von einem Ende der Lichtung zum anderen, während Cephei ihr wütende Blicke zuwarf.
Irgendwann machte sich das Wasser, das sie am Morgen getrunken hatte, bemerkbar. Kurz sah sie sich um, dann schlug sie den Weg in die Büsche ein.
»Geh nicht so weit weg«, rief ihr Cephei nach, und sie rollte mit den Augen. Als ob sie alleine quer durch den Wald laufen würde! Sie war doch nicht dumm. Natürlich blieb sie in Rufweite.
Weil sie sich von Cephei nichts vorschreiben lassen wollte, ging sie ein Stück weiter nach Norden zurück, als bei dem dichten Unterholz nötig gewesen wäre. Schließlich entdeckte sie einen breiten Busch mit fingerlangen, herrlich gelben Blüten und herzförmigen, fast bläulichen Blättern. Er gefiel ihr, und sie konnte sich nicht erinnern, ihn vorher schon gesehen zu haben.
Als sie sich hinter den Busch quetschen wollte, schlug ihr ein Zweig ins Gesicht, und ihr Hemdsärmel verfing sich im Gestrüpp.
»So ein Dreck«, fluchte Vela und zerrte am Stoff, bis er sich vom Busch gelöst hatte. Verdrossen sah sie auf den schmalen Riss, der entstanden war. »Na, wundervoll. Eine tolle Heldin bin ich.« Sie schüttelte den Kopf über die eigene
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