Der Königsschlüssel - Roman
Ungeschicklichkeit und hockte sich dann hinter den Busch.
Nachdem sie sich die Hände an taunassen Gräsern abgewischt hatte, sah sie sich um, aber sie hatte plötzlich Schwierigkeiten zu erkennen, aus welcher Richtung sie genau gekommen war. Ein Weg war ja nicht zu erkennen, und die Baumstämme sahen einander so ähnlich.
Auch das noch!
»Cephei?«, rief sie, aber es kam keine Antwort.
Sie rief lauter.
Wieder nichts.
»Er war doch gerade noch zu hören«, murmelte sie, aber die Angst erfasste sie wie eine Welle des ungestümen Sepiaflusses am Rande ihres Dorfes. »Cephei? Hörst du mich?«
Sie kroch auf die andere Seite des Busches und lief in die Richtung, aus der sie zu kommen glaubte, dabei rief sie weiter seinen Namen. War der Weg von ihrem Rastplatz wirklich so weit gewesen? Müsste sie Cephei nicht längst gesehen haben?
Weil sie so hastete, verfing sie sich öfter in den Zweigen und stolperte über Wurzeln. Nach kurzer Zeit waren ihre Hände zerschrammt. Doch die Panik trieb sie vorwärts. Nur einmal blieb sie kurz stehen, um den Hammer unter ihrem Hemd hervorzuholen. Die Melodie des Waldes klang ihr in den Ohren, übertönte sogar das Rauschen ihres Blutes beim Laufen. Sie schnappte nach Luft und versuchte, das Stechen in der Seite zu ignorieren.
Plötzlich trat sie auf eine Lichtung, auf der keine Büsche wuchsen. Sie stand zwischen vier großen Eichen, deren Wurzeln die Erde durchbrochen hatten und die tiefe Schatten warfen. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte sie abrupt zum Stehen.
In der Mitte der Eichen stand ein großer Steinquader, der über und über mit Moos bewachsen war. Der Quader war aus dunkel gesprenkeltem Felsgestein gehauen worden und mindesten drei Schritt lang. Ein tief hängender Zweig einer Eiche berührte fast seine Oberfläche.
Den Stein hatte sie vorhin nicht gesehen. War sie etwa in die völlig falsche Richtung gelaufen? Allein würde sie vielleicht nie wieder aus dem Wald hinausfinden.
Statt den Rückweg zu suchen, näherte sie sich langsam dem Quader. Er hatte eine unebenmäßige Oberfläche, und als sie direkt vor ihm stand, erkannte sie, dass Muster hineingehauen waren. Schnörkel, Linien und Formen. Vielleicht sollten es Tierbilder sein, aber die Tiere erkannte sie nicht.
Mit den Fingerspitzen fuhr sie langsam über den Stein, der sich kalt anfühlte, weil kein Sonnenstrahl ihn traf. Das Moos war feucht. Ein eigenartiges Gefühl beschlich sie, als käme die Musik des Waldes auf einmal nicht mehr nur von den Bäumen, sondern auch aus dem Stein. Ein tiefes Summen, das sich auf ihre Fingerspitzen übertrug.
Fasziniert beugte sie sich tiefer, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte. Erschrocken schrie Vela auf. In der Erwartung, etwas Grässliches zu sehen, wirbelte sie herum, den Hammer hoch erhoben.
»Du Idiot!«
Cephei stand hinter ihr und zuckte mit den Schultern. Grinste er?
»Willst du mich umbringen?«
»Mensch, Vela, ich bin’s doch nur, schrei doch nicht so. Und nimm den Hammer runter. Was machst du denn hier so lange? Ich suche dich schon die ganze Zeit.« Er sah über ihre Schulter auf den Stein und erbleichte.
»Was ist?«
»Komm weg hier, Vela.« Hastig nahm er ihre Hand und zog sie mit sich.
»Was ist denn?«
»Der Stein!«
»Was ist mit dem Stein?«
»Das ist ein Opferaltar.«
Vela blieb stehen, und so kam auch Cephei zum Halt. »Sei doch nicht albern, Cephei. Die gibt es doch schon seit Ewigkeiten nicht mehr.«
Er zog an ihrem Arm, bis sie sich wieder in Bewegung setzte, und schob sie weiter. Seine Hände schubsten sie in den Rücken, damit sie schneller lief. Dabei stolperte sie mehr vorwärts, als dass sie lief.
»Die Schusterstochter hat mir davon erzählt«, flüsterte er atemlos.
»Und woher kennt die einen Altarstein?«
»Sie hat ihre Tante in Athago besucht, in der Nähe des Grünen Herzens. Dort haben die Köhler im Wald so ein Ding gefunden. Aus Fels geschlagen und mit Verzierungen auf der Oberfläche. Genau wie dieses Ding hinter uns. Die Männer haben den Stein mit in die Stadt gebracht, und dort wurde er auf dem Marktplatz aufgestellt und dann öffentlich zu Staub zerschlagen.«
»Ein Fels? Was war denn so schrecklich an diesem Felsen?«
»Man konnte noch das getrocknete Blut der Opfertiere erkennen. Wenn es denn überhaupt Tiere gewesen sind.«
»So ein Unsinn«, murmelte Vela. »Wer soll ihn denn im Wald aufgestellt haben?«
»Wer wohl? Hexen natürlich. Das ist ein Hexenstein!«
»Ach, Hexen. Es
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