Der Königsschlüssel - Roman
und bewegte den schuppigen Schwanz züngelnd über die Felswände.
»Wir könnten dir sagen, wo es Wälder gibt, in denen kannst
du Muths jagen. Die sind furchtbar groß und haben furchtbar viel Fleisch.«
Wieder traf sie der Blick aus spiegelnden Augen.
Nein, ich muss den Jungen fressen.
»Warum denn nur?«, rief Vela verzweifelt. Sie umklammerte ihren Hammer.
Selbst wenn es stimmt, was du sagst, ich kann nicht weg, ich bin in diesem Loch gefangen und kann nur von dem leben, was herunterfällt.
Sie runzelte die Stirn. »Wieso kannst du nicht heraus, du musst doch nur die Flügel spreizen und hinauffliegen.«
Der Schwanz peitschte nun unruhig über den Boden und traf dabei fast Cephei, der immer noch schlief.
Höhenangst.
»Was?«
Die Kreatur brüllte nun so laut, dass die kleinen Kiesel unter Velas Händen vibrierten: Ich habe Höhenangst! Deshalb kann ich nicht fliegen.
»Herrje.« Vela setzte sich im Schneidersitz an den Rand, weil ihr die Knie wehtaten. So schaute sie auf die Kreatur, die Cephei fressen wollte, eine fliegende Schlange, die Angst vorm Fliegen hatte, und das Zittern ihrer Finger ließ langsam nach. Doch ihr schwirrte der Kopf, das alles war doch verrückt.
»Wie heißt du eigentlich? Hast du einen Namen?«
Warum soll ich dir meinen Namen sagen?
»Weil man sich eben vorstellt, wenn man miteinander redet. Vielleicht kann ich dir ja doch helfen.«
Wie denn?
»Weiß noch nicht genau«, gab Vela zu und stützte den Kopf auf die Hand.
Ich glaube, ich fresse doch lieber den Jungen.Was man hat, hat man.
»Nein! Nein, nein, nein. Du darfst ihn nicht fressen, so lass mir doch einen Moment Zeit zu überlegen.«
Der Schwanz beruhigte sich wieder, rollte sich zusammen, und die Kreatur betrachtete Cephei, kam ihm aber nicht näher.
Mein Name ist Apus .
»Sieh mal, Apus, es gibt bestimmt eine Möglichkeit, aus dem Loch zu kommen. Du könntest doch die Augen schließen, dann siehst du nicht, wie hoch du fliegst, und ich sage dir, wann du den Rand erreicht hast.« Sie sah Apus an und lächelte zaghaft, es schien ihr eine ganz hervorragende Idee zu sein, aber die Kreatur verneinte.
Das geht nicht, ich kann nicht mit geschlossenen Augen fliegen, dann funktioniert es nicht. Das ist wie bei euch Menschen, ihr könnt doch auch nicht geradeaus laufen, wenn ihr die Augen schließt.
»Doch!«, behauptete Vela sofort, aber Apus sagte nur Nein . Seufzend sah sie nach oben in den Himmel. Es musste eine Möglichkeit geben, ihr würde etwas einfallen. Einen Moment lang schloss sie tatsächlich die Augen, und das erste Mal seit Tagen spürte sie einen schwachen Windhauch an ihren Wangen. Sie hatte ihn also doch noch nicht ganz verloren, selbst hier in dieser Hitze begleitete er sie, wie ein Gruß aus dem Norden und der Heimat.
Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf den Fluss, der sich neben ihr durch die Landschaft wälzte, als gehe ihn das ganze Unglück nichts an. Die Räder rollten vorwärts, über Ketten und Nägel hinweg, ein beständiger Strom, der nicht langsamer wurde in seinem Bemühen, das Land zu teilen. Da tauchte eine Idee in ihrem Kopf auf, etwas, das sie in der Werkstatt ihres Vaters einmal gesehen hatte. Ein Bild, das noch verschwommen war, aber an Konturen gewann.
He, Mädchen, bist du noch da? Wenn dir nichts einfällt, fresse ich jetzt den Jungen.
Blitzschnell sah Vela wieder nach unten. »Sei doch nicht so ungeduldig, ich bin ja schon dabei. Willst du nun dort raus oder nicht? Da kommt es auf die paar Augenblicke auch nicht mehr an, oder?«
Die Kreatur antwortete nicht, rollte sich aber zusammen und legte den Kopf auf die Vorderbeine. In diesem Moment nahm Vela eine andere Bewegung wahr und sah, wie sich Cephei regte. Er schlug die Augen auf, blinzelte und hob den Kopf, sah zu ihr auf, und sein Blick klärte sich, offenbar erkannte er sie. Dann setzte er sich auf, langsam und mit zusammengekniffenen Lippen. Gerade als er etwas sagen wollte, wandte er den Kopf, um sich umzusehen, und entdeckte Apus.
Es dauerte keine drei Herzschläge, und er verlor erneut das Bewusstsein. Sank einfach nach hinten und war außer Gefecht gesetzt. Sowohl Vela als auch Apus beobachteten das kurze Schauspiel, und Vela seufzte.
Hat sich wohl erschreckt.
»Kein Wunder«, sagte sie, erhob sich und begann am Rand des Lochs entlangzugehen. Ihr musste etwas einfallen! Sie dachte an die Werkstatt im Schloss, und ohne es zu wollen an ihren gefangenen Vater, an den schrecklich düsteren Kerker
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