Der Königsschlüssel - Roman
und die griesgrämigen Wachen, an die sich schlängelnden Schemen im tiefen Kerkergraben …
Mindestens ein Dutzend Mal hatte sie das Loch umrundet, als sie plötzlich ganz genau wusste, was zu tun war. Natürlich! Die Kerkerbrücke!
»Ich hab’s!«, schrie sie in den Abgrund, und Apus hob den Kopf. »Wir werden dich einfach aus dem Loch ziehen. Du kannst
nicht hinaufklettern, du kannst nicht hinauffliegen. Also werden wir dich hinaufziehen.«
Wer ist wir?
»Na ja, ich meine, ich werde dich hinaufziehen. Ich mach das.«
Aha , war alles, was die Kreatur sagte, und dann senkte sie wieder den Kopf. Ich glaube, ich fresse jetzt den Jungen, du hattest genügend Zeit.
»Nein, du verstehst nicht, ich kann das machen, glaub mir!«
Sei nicht albern, Mädchen. Du bist viel zu schwach, um mich heraufzuziehen. In den letzten Jahren habe ich einige Menschen gefressen, und meine Art ist von Natur aus groß.
»Aber es gibt eine Möglichkeit. Du wirst sehen, vertrau mir.«
Pah, Menschen kann man nicht trauen. Das weiß doch jeder.
»Lass mir diesen einen Versuch. Wenn es nicht klappt, kannst du uns ja immer noch fressen«, erwiderte Vela und stemmte die Hände in die Hüften. Ihr war nicht wohl bei der Sache. Wenn sie versagte, wäre es mit Cephei aus. Und es gab nur diesen einen Versuch. Niemals zuvor hatte sie so etwas gebaut, schon gar nicht in dieser Größe.
Es dauerte noch einen Moment, bis ein Grollen aus dem Abgrund erklang. Meinetwegen. Du kriegst Zeit bis morgen früh. Danach gibt’s Frühstück. Sie nickte und krempelte die Ärmel hoch, drehte sich um und starrte auf den Fluss. Man musste eben das Beste aus dem machen, was man hatte. Zuerst wischte sie mit der Hand ein paar Kiesel beiseite, bis der Sand darunter zum Vorschein kam. Dann malte sie mit dem Zeigefinger eine Skizze in den Sand, verband Striche mit Kreisen und rechnete, so gut sie konnte. Sie hätte manches Mal besser aufpassen sollen, wenn Vater und Großvater etwas erklärt hatten, jetzt könnte sie manche Formel gut gebrauchen.
Andererseits, wenn sich nicht alle so dagegen gesträubt hätten, dass sie eine Lehre machte, dann wüsste sie nun vielleicht schon eine Menge mehr, das hilfreich gewesen wäre. Allein die Berechnungen nahmen die nächste Stunde in Anspruch, und es wurde Mittag, bevor sie überhaupt anfangen konnte.
Inzwischen war auch Cephei wieder aufgewacht und hatte mit seinen Schreien Apus zum Brüllen gebracht, was Vela erheblich in ihrer Konzentration störte.
Also warf sie Cephei einen kleinen Kiesel an den Kopf und brüllte zurück: »Jetzt seid endlich still! Wie soll man denn da seine Arbeit tun?« Sie deutete auf Apus. »Du hast versprochen, ihn bis morgen nicht zu fressen, und du«, sie zeigte auf Cephei, »bist eine bessere Hilfe, wenn du ruhig bist, schließlich ist es dein Hintern, den ich hier retten will.«
Sie sahen erst Vela und dann einander an. Schließlich zog sich Cephei mit angezogenen Knien an eine Felswand zurück, und Apus rollte sich wieder zusammen. Monster und Jungen waren anstrengend, fand Vela, schüttelte den Kopf und ging zurück an die Arbeit.
Die nächsten Stunden war sie damit beschäftigt, größere und kleinere Metallräder mit einem breiten, nach außen gebogenen Rand und unterschiedliche Zahnräder vom Flussufer auf den Strand zu ziehen. Das war nicht leicht, weil sie oft genug ungeeignete Räder erwischte, manche zu schwer für sie waren oder ein vorbeisausender Metallblock sie zu erschlagen drohte.
Darüber hinaus suchte sie nach leichten, langen Ketten, die sich miteinander verbinden ließen. Dazu brauchte es Haken an ihren Enden, und von diesen Ketten gab es nicht viele. Außerdem benötigte sie Metallstifte, mit denen sie das Ganze verbinden konnte und die sie leicht mit dem Hammer verbiegen konnte.
Als es langsam dunkel wurde, sammelte sie statt Zahnrädern erst einmal Äste, Zweige und vertrocknetes Blattwerk der kleinen knorrigen Büsche, die hier in den Felsspalten wuchsen. Bis die Sonne untergegangen war, hatte sie genug Brennmaterial, um ein großes Lagerfeuer zu entfachen, in dessen Schein sie ihre Arbeit fortsetzte. Nur für ein kleines Abendbrot machte sie Pause und warf auch Cephei etwas von den getrockneten Früchten in den Abgrund. Apus kam näher, schnüffelte kurz daran und wandte dann den Kopf ab.
Das wurde ja nicht mal erlegt.
»Sind eben Früchte, wir sind nicht so gut im Jagen«, erwiderte Cephei, zuckte mit den Schultern und biss in die erste Frucht. Während des
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