Der Koffer
Staubflocken tanzen, in dem zwei abgerissene Maler mit Bierdosen anstoßen und ihr »Hi« nicht erwidern.
Sie schließt die Wohnungstür auf und sieht sich um. Schmutziges Frühstücksgeschirr. Schmutzige Wäsche. Umzugskisten. Bettwäsche auf dem Boden. Ihr eigenerDreck hat sie nie gestört. Aber würde es sie nicht zur Haussklavin degradieren, den gemeinsamen wegzumachen?
Rhett erwidert ihr »Hi«. Es gibt Möbel. Ein Sofa. Einen Schreibtisch. Ein Bett.
»Nanu?«
Rhett, der eben den Inhalt seiner mit OFFICE gekennzeichneten Umzugskisten in den Schreibtisch einsortiert, steht auf. Rhett nimmt Sonnie in den Arm. Er stempelt seinen Mund auf ihren, als wolle er den Empfang bestätigen, den Empfang der Ware Sonnie.
»Hab ich gekauft. Gefallen sie dir?«
Sonnie nickt. Kurzatmig. Eingewickelt vom Wegschubskuss.
»Gong ist nicht da«, schnauft sie. »Wie sind denn die Sachen hier hochgekommen?«
»Der Möbelpacker ist die Treppen hochgelaufen.« Rhett verschweigt die Sache mit Gong. Er verschweigt Bud Brown.
No bad news .
»Soll ich dir das Bett zeigen?«
»Ja, sehr schön.«
»Du musst deine Schlafnummer rausfinden.«
»Meine was?«
»Hier«, sagt Rhett, »leg dich hin.«
»Jetzt nicht«, sagt Sonnie. Er will doch nicht etwa schon wieder, denkt sie. Nicht schon wieder.
»Da, mit der Fernbedienung kannst du die Matratze härter und weicher machen.«
»Ah, gut.«
»Wie war’s in der Redaktion?«
»Nix als Ärger!«
Sonnie lässt sich aufs neue Sofa plumpsen. Es ist bequem. Es kommt genau zur richtigen Zeit. Sie freut sich auch über das Bett. Wer schläft schon gern dauerhaft auf dem Boden wie ein Student, und das mit 39,99 Periode?
Rhett setzt sich neben Sonnie, zieht ihre Füße auf seinen Schoß, streift ihr die Stiefel ab. Er ist ein mittelmäßiger Liebhaber und ein lausiger Tänzer, aber er hat eine grandiose Begabung für Fußmassagen.
Don’t be tellin’ me about foot massages – I’m the foot fuckin’ master.
Rhett schließt seine Finger um ihren linken Fuß und drückt zu.
Sonnie schnauft.
»Ärger?« Rhett drängt sich ein archaisches Bild auf: Sonnie mit einer Tonscheibe in der Unterlippe. Bud Brown und er bieten mit Kühen um die Wette, um sie zur Frau zu kriegen. Er gewinnt.
»Der Basedow schon wieder. Mäkelt an meinen Texten herum.«
»Hast vermutlich kein gutes Haar an Scorsese gelassen«, sagt Rhett, während er nun mit beiden Händen Sonnies Fuß knetet.
Sonnie winkt ab.
Suppose you run your business and let me run mine.
Rhett mag Foot Fuckin’ Master sein, Picasso-Restaurator, Beuys-Intimus, aber was weiß er von Kino? Was weiß er von Scorsese? Was weiß er von ihr und Scorsese?
Gerade, indem sie ihrer Enttäuschung über den kürzlich in die Kinos gekommenen »Director’s Cut« Luftmacht, zeigt sie ja Verehrung und Respekt für den Meister. Wie konnte er Gangs of New York sein Lebenswerk nennen, wo es doch nichts ist als eine protzige Cinecittà-Sandalenproduktion? Das alte New York in Rom, der ewigen Stadt, nachzumachen, das ist so … Das kommt natürlich auch noch dazu, dass sie immer emotional wird, wenn es um New York geht.
»Du hättest wenigstens abwaschen können!«
Hättehättehätte.
Rhett lässt von ihren Zehenzwischenräumen ab, die er gerade in den Pinzettengriff genommen hat. »Hast ja Recht«, sagt er, wischt Sonnies Füße von seinem Schoß und geht abwaschen.
Sonnie sieht ihm nach. Lässt der Mann sie auf einer halben Fußmassage sitzen! Immerhin kann er sie noch verblüffen.
Die wenigsten Männer können Frauen dauerhaft verblüffen. Sonnie weiß das. Sonnie hat Männer studiert. Sie spiegelt sie, kopiert sie, okkupiert sie, übertrifft sie schließlich.
In Paarungen ist sie bisher stets zum perfekten Abbild ihres Partners geworden. Das war immer ihr Sieg gewesen, linker als der Linke zu sein, kreativer als der Künstler, spiritueller als der Esomann, ausdauernder als der Sportler. Solange es eine Herausforderung gab, herrschte Wettbewerb. Sobald der Kampf gewonnen war, der Mann besiegt, war Schluss.
Bei Rhett will Sonnie mit dem Wesensvampirismus Schluss machen. Das hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, damals, als sie zusammenkamen.
Bleib, wiede bist.
Für Rhett, mit Rhett, will Sonnie nur neue Fehler machen. Mit diesem Entschluss im Gesicht hatte sie sich ihm entgegengeworfen, ihn gleichsam überrannt, als sie sich begegnet waren. In diese Frau, die sie eben erst beschlossen hatte zu sein, in diese wilde trotzige
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