Der Koffer
wie der Koffer.
»Was ’n das für eine Scheiße hier mit dem neuen Virusprogramm? Dauert ja Stunden, ehe man ’n Foto wegschickn kann.«
»Chola?«
Erst jetzt nimmt Chola sie wahr.
»Hi, Sonnie-Babe, was ’n los?«
Sonnie hält ihr den Brief hin.
»Kannst du das bitte übersetzen? Hier … Lieber Papa … wie geht’s weiter?«
Chola sieht auf den Zettel, wieder auf Sonnie, wieder auf den Zettel. Sie liest in aufgesetzt leierndem Tonfall: »Ich hoffe, du bist gesund, mir geht es gut. Mama fragt, wann du kommst. Sie weint immer, außer wenn Onkel Alain da ist. Dann quiekt sie.«
Chola lacht tief und dreckig.
»Jacques war in den Osterferien bei Großpapa in Versailles, da hat ihm der Hund das Ohr abgebissen. Ersieht jetzt aus wie ein Pirat. So sieht er aus, hat er selber gemalt.« Sie dreht den Zettel um. »Samma, wofür brauchst ’n das?«
»Ins Ohr gebissen oder Ohr abgebissen?«
»Ohr futsch, steht hier. Und Mama quiekt, wenn Onkel Alain kommt.«
»Was steht drunter? Unter der Zeichnung? Da steht doch noch was drunter!«
Chola stöhnt. »Lieber Papa, ich vermisse dich. Xoxo, Valerie.«
Sie gibt Sonnie den Zettel zurück und fixiert wieder den Bildschirm. Chola ist eine begabte Essayistin, scharfsinnig, lustig, gutmütig. Sie spricht mehrere Sprachen, darunter die Sprache der Männer – nur Computersprache ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln.
»Du kannst die Funktion ausschalten.«
»Was? Wo?«
»Hier unten. Norton anklicken. Optionen. Häkchen raus bei ›ausgehende E-Mails‹.«
Der Chef vom Dienst nähert sich. Er drückt den Brustkorb heraus, macht kleine Tippelschritte und schau-kelt beim Laufen mit dem Kopf. Zornig quellen seine Augen aus den Höhlen. Offenbar hat er seine E-Mails gecheckt.
»You made my day!« , sagt Chola. »Was will denn Basedow?«
Sonnie zuckt die Schultern. »Scorsese vermutlich.«
Chola grinst und zeigt auf die Praktikantin mit den pinken Kreolen. Sie hat eine Wespentaille und hohe, jugendliche Brüste. »Die quiekt immer, wenn Onkel Basedow kommt.«
»Echt? Altes Klatschmaul.«
»Zeig mal das Foto … Furchbar! Löschen!«
Von sich selbst mag Chola nur Fotos, die mehr als dreißig Jahre alt sind. »Guck mal hier!« Sie geht in die Grätsche, rafft ihre hochgeschlitzte Samtrobe, lüpft ihren Rock und zeigt auf ihre sehnigen, vom Selbstbräuner etwas gelblichen Beine. Basedows Augen quellen noch weiter heraus.
»Wo denn?«, fragt Sonnie und bückt sich. »Ich seh nichts. Was ist denn da?«
»Na, Krampfader! Kommt raus! Vollnarkose, Schnitt hier, Schnitt hier, und – zack! Raus in einem Stück, ein Meter nochwas. Für Schönheit muss frau auch ’n bisschen büßen. Und was is das jetzt für ’n Brief?«
Sonnie ist schon halb weg. »Später!« An der Tür trifft sie einen jungen Mann, der ihr zunickt. Er hat den wiegenden Gang eines Wesens, das auf Bäumen groß geworden ist. Ein straffer, elastischer Junge. Mit sehr dunkler, samtener Haut. Mit Pferdeschwanz und Glutaugen und Giraffenwimpern. Mit einem Mädchengesicht. Kein Wunder, denkt Sonnie.
Der junge Mann hält Chola von hinten die Augen zu. Chola quiekt.
Die Krieger stechen Messer in Kälberhälse. Sie fangen den Blutstrahl mit einer Holzschale auf. Sie trinken das Kälberblut auf ex. Lieber einen Tag als Löwe leben als hundert Tage wie ein Schaf. Die Kriegerfrauen tragen Tonscheiben in den Unterlippen. Die Tonscheiben sind so groß wie Frisbees. Die Lippen sehen aus wie vertrocknete Regenwürmer. Je größer die Tonscheibe, desto mehr Kühe kriegt der Vater für die Tochter.
»Mein Mann hat mich für 35 Kühe gekauft«, sagt die Frau mit der größten Tonscheibe, die sich für den besseren Sitz derselben die unteren Schneidezähne herausschlagen ließ. Wenn sie lacht, spannt sich ihre Unterlippe um die Scheibe wie ein morscher Keilriemen.
Rhett hockt auf einer Umzugskiste, versunken in die Fernsehsendung über den fernen äthiopischen Stamm. Er stellt sich vor, den Tag mit warmem Tierblut zu begrüßen. Er kann es schmecken, metallen, süßlich, dick. Das Primitive hat Rhett schon immer angezogen. Auch Sonnies Pennerfreund Ezekiel zollt er insgeheim Respekt. Das ist ein Mann. Verwittert, zerlumpt, handfest. Lieber einen Tag als Löwe leben als hundert Tage wie ein Schaf.
Es klingelt an der Tür. Rhett versucht einen männlichen Gang. Er öffnet.
»Levi & Sohn Umzüge?«, ruft jemand. Der Mann ist von ungeschlachter Gestalt. Ein Grizzly. Ein Grizzly in Latzhose. Geschorener Kopf,
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