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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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passiert?«
    »Die Wahrsagerin. Das Märchen. Mein Großvater hat es mir erzählt … Wie schön die Wälder grünen! Und sie sind alle tot! Die gute Gräfin und der Graf, mein Junker Kuno und nun auch der kleine Wolf … Ich hab doch meine Mutter im Spiegel gesehen. Im Handspiegel vom Koffer.«
    »Was für ’ne Gräfin? Was für ’n Junker? Was für ’n Koffer? Samma, bist du besoffen? Haste was genomm?«
    »Hot Sausage und Fischbälle … mein Hang zum Unrat … Ich hab im Krankenhaus … der Koffermann … Rhett hat doch Gong gerettet«
    »Gong? Koffermann? Sag mal … Sonnie? Wo bist’n? Im Taxi?«
    »Ich hab mich geschnitten.«
    »Du kommst sofort her, hörst du? Auf der Stelle.«
    Sonnie tippt den Taxifahrer an. »Doch nicht Chinatown. Lincoln Center.«
    »Hör mal, Baby«, sagt der Fahrer. »Das ist New York! Da kann man nicht mal hü mal hott!«
    »Was soll denn das heißen? Warum sagt hier eigentlich jeder diesen Das-ist-hier-New-York-Satz?«
    »Sonnie?«, brummt Chola aus der Muschel. »Gib mir den Heini ma!«
    Sonnie reicht dem Taxifahrer ihr Funktelefon. Der nimmt es Kaugummi kauend ans Ohr, hört, nickt, sagt »Yesss, Ma’am!«, lacht glucksend und hängt auf.
    »Sie haben ’ne klasse Freundin«, sagt er und gibt Sonnie das Telefon zurück. Sonnie lehnt ihren heißen Kopf an die schmutzige Scheibe.
    »Sach ma, du hast ja Fieber«, ruft Chola. Sonnie zuckt zusammen, als sich eine dicke weiße Katze an ihren Beinen entlangschmiegt. Cholas Wohnung, ein Studio-Apartment im zwanzigsten Stock, ist von verwegenem Design – ein Sammelsurium aus recyceltem Müll, Sägeblöcken, Plastikmilchkästen, Möbeln vom Straßenrand, dekoriert mit getrockneten Blumen und kunstvoll eingeschmolzenen bunten Kerzen. Sonnie stolpert durchs Interieur, in dem sie nach ihrer Trennung von Jake einige Monate gehaust hat. Chola legt die Hand auf Sonnies Stirn. Sonnie streckt der Freundin den pochenden Daumen entgegen. Stumm. Chola wickelt den Verband ab.
    »Du lieber Himmel! Mädel! Sieht ja aus wie ’ne Salami! Und stinkt! Wie iss’n das passiert?«
    »Der Koffer«, murmelt Sonnie. »Ich hab mich geschnitten. Ich hab kein Spiegelbild. Beuys war in meinem Bett. Der Koffersohn hat das Ohr ab.«
    »Sach ma, du fantasierst ja!« Chola hat Sonnies Ärmel hochgeschoben und inspiziert die Innenseite ihres Unterarms. »Ach du Scheiße«, murmelt sie.
    »Die Frau vom Koffermann ist eine Hexe«, flüstert Sonnie in Cholas Ohr und lässt sich zähneklappernd auf die Couch sinken. »Du, die wusste genau Bescheid! Ganz genau … wusste die Bescheid! Dass ich nicht wegen der Wohnung da war! Willst du die Pornobilder sehen?«
    Chola lacht nervös auf. »Im Moment nich, Sonnie. Manno, gut dass de hergekomm bist! Mach mir bloß nicht schlapp, du! Wir müssn zum Krankenhaus! Weißte, was das hier is? Das Rote hier? Die Bahn an deinem Arm? Das is ’ne Blutvergiftung!«
    »Wie spät ist es? Ich muss Rhetts Sohn anrufen«, sagt Sonnie, gleitet zur Seite, langsam, so lange, bis sie mit der Wange auf der Sofalehne liegt. Sie schließt die Augen. Sie kennt die Sofalehne. Ihr Kopf hat oft darauf gelegen.
    »Frau Gong hat Fischbälle gemacht.«
    Chola stürzt zum Telefon.
    »St. Vincent’s Hospital, Zimmer 1601«, murmelt Sonnie.
    »Operator?«, bellt Chola ins Telefon. »Operator?«
    Der Projektor dreht sich im Leerlauf. Rhett wacht auf. Es ist dunkel. Er weiß nicht, wie lange er geschlafenhat, er weiß nur noch, dass er immer noch in der Kiste ist.
    Er steht mit schmerzenden Gliedern auf und macht das Licht an. Er ist ein schlechter, ein nutzloser Mensch. Der Projektor knattert. Rhett sieht auf die Uhr. Es ist spät, fast Mitternacht. Aber wo ist Sonnie? Wo, verdammt noch mal, ist Sonnie? Was hat sie gesagt, wann sie kommt? Wann hat er sie gesehen? Morgens? Vormittags? Mittags? Und hat sie etwas gesagt, als sie ging?
    Rhett läuft.
    Rhett läuft hin und her.
    Rhett schreitet die Wände ab.
    Rhett zieht Kreise in der Wohnung.
    Sie war nicht gegangen. Er war gegangen. Sie war inder Wohnung zurückgeblieben. Keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Kein Zettel. Nirgends ein Brief. Er hebt das Menü vom Chinesen hoch. Doch! Da ist was! Er nimmt den Zettel und hält ihn weit von sich weg. K-O-H-L-R-A-B-I, buchstabiert er.
    Er versteht nicht. Was soll das? Was heißt das? Wo ist sie?
    Moment, er hat ja mit ihr telefoniert am Mittag! Er hat doch seinen Filofax gesucht! Aber hat er sie nicht angeschnauzt? Er erschrickt. Er hat sie angeschnauzt! Und

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