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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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eine Frau wie sie, bei der man nie weiß … Sie ist ihm weggelaufen!
    Rhett wählt Sonnies Funknummer. Mailbox.
    Jetzt fällt ihm ein, sie hat das Foto gefunden. Das unselige Foto. Er läuft zum Schreibtisch. Da liegt es auch schon. Die Biedermann-Fratzen. Der billige Rahmen. Die rote Fliege. Vermutlich ist alles aufgeflogen. Ihr seid schuld, dass Sonnie weg ist, denkt er.
    Rhett wählt die Nummer der Redaktion. Niemand geht ran. Es wird doch nichts passiert sein? Ein Unfall? Der Fahrstuhl wieder? Ein Terroranschlag? Stromausfall? Er atmet schnell. Schweiß bricht ihm aus. Hat sie ihn verlassen? Hat sie ihn verlassen?
    Er stürzt zum Bett. Er sinkt auf seine schmerzenden Knie, tastet, zerrt, fördert erst den hässlichen Jade-Buddha zutage, schließlich den Koffer. Das ist gut, denkt Rhett. Der Koffer ist noch da. Dann kann Sonnie nicht weit sein.
    Rhett wählt Sonnies Funknummer. Mailbox.
    Rhett öffnet den Koffer.
    Ob sie die Pornobilder mitgenommen hat? Nein. Keinesfalls.Rhett verwirft den Gedanken. Sie war doch so angewidert gewesen. Allerdings: Sie könnte sie mitgenommen haben, damit er sie nicht findet. Er kramt alles durch.
    Da! Die Bilder waren in den Futtertaschen. Rhett erinnert sich. Er greift in die Taschen. Er wirft die Fotos umher. Die Pornobilder sind die letzten. Rhett legt die Hand auf seinen Schoß. Er ist heiß und hart. Er öffnet seine Hose. Er sieht Gesichter, Brüste, Schamhaare, Schwänze. Er denkt an Schwester Cäcilia. Er denkt an Birne Helene. Er denkt an Joy. Er denkt an Sonnie. Es geht sehr schnell.
    Rhett starrt die Fotos an. Wie konnten sie ihn nur erregen? Wohin ist die Erregung verschwunden? Altmodische Fotos von hässlichen Menschen ohne sinnliche Ausstrahlung. Ein schlaffer nasser Schwanz, der aus seiner Hose hängt. Er verachtet ihn. Er verachtet sich. Alles ist klebrig. Alle stinkt nach Sperma. Rhett verstaut den schlaffen nassen Schwanz. Er geht sich die Hände waschen. Er benutzt viel flüssige Seife. Er benutzt Desinfektionsmittel. Er kommt sich nekrophil vor. Diese Menschen sind längst tot, verwest, vergessen.
    Er will die Fotos zurück in die Futtertaschen stopfen. Da erst merkt er, dass sie ihn an etwas erinnern. Das philosophische Bordell. Die Posen, die Gesichter, die Verrenkungen auf den Fotos. All das erinnert ihn an die Studien zu Picassos »Le Demoiselles d’Avignon«. Auf den ersten Skizzen waren noch Männer gewesen. Ein Matrose. Ein Medizinstudent. Ein Freier. Eines dieser Bilder, die Picasso zynisch als Kunst bezeichnete und verhökerte, nur weil seine Signatur darunterstand.
    Als das Museum of Modern Art an Rhett mit der Restauration des Gemäldes herangetreten war, hatte er tagelang unter Schock gestanden. Es war ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Ein großer Auftrag, ein Jahrhundertauftrag, einer, der ihm Geld und Ruhm bringen würde. Das war also seine Strafe. Eine zynische Strafe. Nicht Geisteskrankheit, nicht Unfall, nicht Mord, nein, Picasso. Er war zu Picasso verurteilt worden.
    Seit er an dem Auftrag arbeitet, ist seine Abneigung zur Verachtung angewachsen. Was da als Geburtsstunde des Kubismus, als Eckstein des Modernismus gefeiert wird, ist nichts als allerschlimmste Stümperei, die einem sadistischen Hirn entstammt, einer vulgären Lustlosigkeit, gepaart mit einem erstaunlichen Mangel an Talent und Fantasie.
    »Jahrhundertmaler, pfffff«, sagt Rhett, »dass ich nicht lache!«
    Die Frau auf dem Pornobild könnte mit Leichtigkeit eine von den Demoiselles sein. Sie hat eine manierierte Haltung. Sie hat ein strenges Gesicht. Sie hält einen Handspiegel. Der Handspiegel sieht antik aus, mit Silberrahmen, mit massivem Keulengriff.
    Vielleicht doch ein Unfall?, denkt er plötzlich. Eine Hitzewelle fährt Rhett in die Schläfen. Sonnie war so fahrig in den letzten Tagen. Vielleicht hat sie ihm Zeichen gegeben. Rhett hat das gelesen, in dem Mars-Venus-Buch, dass Frauen Männern Zeichen geben, die Männer nicht verstehen oder gar nicht erst sehen. Was könnte ein Zeichen gewesen sein? Der Koffer? Die Essensverweigerung? Das feindselige Verhalten gegenüber Marilyn Monroe? Gegenüber den Pornobildern?
    Chola! Er muss Chola anrufen! Er eilt zu seinem Schreibtisch.
    Da liegt das alte Beuys-Tape. Und das Foto. Das unselige Foto. Er sucht seinen Filofax, findet ihn aber nicht. Da ist Cholas Nummer drin. Was nun?
    Er wühlt zwischen Sonnies Papieren herum, die auf dem Parkett verstreut liegen. Ihm fällt ein, dass sein Filofax in seinem Trenchcoat ist. Den

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