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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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uns ihm vollends anvertrauen.“
    Die Indoktrination hatte bei jeder Erdumkreisung mehr zugeschlagen. Schütz enthüllte sich jetzt den Grund, warum H. B. seine Nichte zu diesem Flug eingeladen hatte. Nach der Rückkehr schrieb Anita dem Herrn über Land und Leute geradewegs einen Sendungsauftrag zu.
    Schütz schwor sich in diesen Sekunden, niemals an einem dieser Weltraumseminare teilzunehmen.
    Mit den neuen Orbit Erkenntnissen schien sie weiter von ihm entfernt als die Raumstation. Wie konnte es zu dieser Sinnesbeeinflussung kommen? H. B. hatte die Technik offenbar als Erster erfasst. Ein Seminarleiter im Weltraum musste regelrecht eine fantastische Wirkung ausstrahlen. Seine Glaubwürdigkeit erhielt im Orbit den absoluten Wahrheitsbonus.
    Mit wirkungsvollen W orten erfuhr der auserwählte Orbitseminarist fern von der Erde von seinem Status als Auserwählter. Mit dem Bewusstsein, in dieser Zeit zu den Begnadeten zu gehören erlebte er Bewunderung und wurde auf Bewunderung getrimmt. Gleichzeitig erfuhren sie Abhängigkeit zum Zentrum und ihre Gefühle gipfelten in einer Anbetungsarie für den Verursacher, den göttlichen Bundeskanzler Hans Braunegger.
    Weiter ließ sich Anita nicht über ihren Flug aus. Die Fakten und Gefühle könne man tausendfach bei vielen anderen nachlesen, die darüber längst Bücher geschrieben hätten. Sie selber erschien manch einem der Gäste im Hause Schütz nachdenklicher und abwesender, eben wie eine Heilige, die einen Einblick in den Himmel genossen hatte. Wieweit sie wirklich zu einer Art Heiligen gehörte, sollte Schütz bald an seltsamen Geschehnissen erfahren. Er ahnte nichts davon.
     
    *
     
    Nach dem Ausflug in den Orbit war Anita entschlossen nach Vaduz gefahren, hatte dort zehn Millionen von ihren Mitteln abgezweigt. Um nicht noch einmal durch Unachtsamkeit ihrem Mann zu begegnen, brachte sie das Geld in Luxemburg unter. Dort veranlasste sie auch den Aufbau ihres privaten Verfassungsschutzes, wie sie es nannte. Zwar hatte H. B. noch einmal in einem vertraulichen Gedankenaustausch vorgeschlagen auch Jürgen zwecks Neuorientierung, wie er es nannte, zur ISS 25 Station zu schicken. Die verblüffenden Ergebnisse könnten den Knaben umdrehen. Anita hatte das rundweg abgelehnt. Der Kanzler hatte vermutet, es seien noch andere Ergebnisse aus ISS 25 daran beteiligt, ließ sich aber darüber nicht weiter aus. Mit ihrem privaten Verfassungsschutz verfolgte sie zwei Stoßrichtungen. Die eine war ihr eigener Schutz, die andere war ihrem Mann zugedacht. Von nun an geschieht nichts mehr ungeplant, sagte sie sich. H. B. hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben: „Kümmere dich darum.“ Sie würde es härter und konsequenter tun als der Kanzler. Die Entscheidung war gefallen. Die Ausführung musste zu den bisherigen passen. Noch blieb in Nikolskoe alles beim Alten, als hätte sich nichts auf der Welt bewegt.
     
    *
     
    Die Zeit war gekommen, seine Gedanken in die Tat umzusetzen. Bevor er das letzte Koffergeld an die Sekretärin des Kanzleramtes weiter reichte, führte ihn sein nächster Weg zum „BER Flughafen Berlin Brandenburg“. Die großräumige Toilette bot die beste Möglichkeit, sich von eventuellen Verfolgern abzusetzen. In einem Spezialgeschäft mit technischer Ausrüstung suchte er die für ihn notwendigen Gerätschaften aus. Dabei legte er nur für eine halbe Sekunde seinen Diplomatenpass vor und wurde in ein Hinterzimmer gebeten. Während seiner umfangreichen Beratung sprach ihn der Geschäftsführer nicht ein einziges Mal mit Namen an.
    „Wie offen spricht man in ihrem Geschäft?“
    „So offen, wie Sie wollen. Wenn Sie mein Geschäft verlassen haben, kenne ich Sie noch nicht einmal vom Ansehen her. Sie sollten jetzt alle Fragen stellen, die Ihnen unter den Nägeln brennen. Eine telefonische Beratung machen wir nicht, verständlicherweise.“
    Schließlich hatte er genug und bezahlte bar. Dann ließ er sich die Ware in einer Tüte des Herrenmodegeschäftes B&C in genau einer halben Stunde an sein Auto auf Parkplatz 63, dritte Ebene, Tiefgarage bringen. Schütz begab sich schon jetzt zu den unterirdischen Parkplätzen, überprüfte, ob ihm jemand folgte, und kehrte wieder in das Geschäftszentrum zurück. Er trank einen Kaffee, aß ein Croissant und beobachtete den Ankunftsmonitor. Einen eventuellen Verfolger wollte er ablenken. Die vielen Menschen um ihn herum brachten ihn auf andere Gedanken. Spielte sich bei denen genau so viel ab, wie in der Politik?

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