Der Kofferträger (German Edition)
deutschen Gäste aus Berlin, war überfallen und zusammengeschlagen worden.
Carlos Blaugut, Viehzüchter deutscher Abstammung in der dritten Generation, dessen Gäste die beiden Deutschen waren, spuckte Gift und Galle. Er schäumte vor Wut. War das der Empfang, den seine Gäste verdient hatten? War dies das Bild einer ehrenwerten deutschen Gesellschaft in Paraguay? Sollte die Regierungsdelegation, wie sie hier genannt wurde, diesen Eindruck mit nach Berlin nehmen? Er überzeugte sich, wie schwer Schütz verletzt war. Als er ihn in den fachkundigen Händen seines Arztes wusste, kehrte er in den Versammlungssaal zurück. Dort stellte er sich an das Mikrofon und hielt in diesem Sinne eine flammende Rede.
Was war bis hierher und aus welchem Grund geschehen? Dem zweiten Gast aus Deutschland, Finanzberater Heiligduft, gingen die Ereignisse der letzen Tage noch einmal wie in einem Film durch den Kopf.
*
Das Dröhnen der Maschine über den Weiten des Atlantiks machte ihn unruhig. Prompt kam die Ansage des Kapitäns, man flöge jetzt durch ein paar Turbulenzen. Die Letzten hatten ihm gerade gereicht, um sich nicht übergeben zu müssen. Lieber nahm er noch einen Drink zu sich. Der Mann an seiner Seite schnarchte unentwegt. Er freute sich wohl über die lange Erholung. Heiligduft, Finanz- und Steuerberater des Kanzlers und seiner Partei fand das alles anders als lustig. Für ihn war diese Geschichte eine einzige Qual. Der Bundeskanzler hatte ihn als seinen Finanzexperten für diese Reise ausgewählt. Erst kurz vor der Reise hatte ihm der Regierungschef auf seine Bitte hin Schütz als Begleiter mitgegeben. Der Generalbevollmächtigte hatte noch nicht einmal einen Whiskey zu sich genommen, bevor er sich vor Stunden zum Schlafen gelegt hatte. Die verrückte Idee des Kanzlers nach Toten- und Erbscheinen aus dem Binnenland im südamerikanischen Kontinent Ausschau zu halten, mussten sie jetzt auslöffeln. Dabei hatte ihnen schon der Blick in die Wirtschaftsinformationen über Paraguay gezeigt, wie bitterarm das Land war. Über Einwohner dieses Landes war nur in begrenztem Maße damit zu rechnen, den Barhaushalt der Partei aufzufüllen.
Offenbar aber verknüpfte der Kanzler eine andere Idee mit seinem Vorhaben.
Eine ganze Reihe von Siedlern aus Deutschland hatte sich nach dem Krieg hier niedergelassen. Sie wähnten sich nach ihrer Flucht in dem Land am Fluss Paraguay sicher. Die politische und religiöse Verbindung mit Deutschland war ihnen treu geblieben. Ihre Kinder und Enkel waren meistens Katholiken, die sich dem H.B.-Regime nahe fühlten. Zwar sprachen sie im Klub noch Deutsch, die meisten aber hatten in der dritten und vierten Nachkriegsgeneration nicht mehr die richtige Vorstellung von ihrem ehemaligen Heimatland. Die Verbindungen mit ihrem Mutterland waren im Laufe der Zeit für viele nachlässiger geworden. Einem interessanten Phänomen war Heiligduft bei seiner Recherche über das Land auf die Schliche gekommen. Eine ganze Reihe der deutschstämmigen Einwohner Paraguays bezog noch immer eine satte Rente, Kriegsentschädigungen oder Entschädigungen als Verfolgte des Naziregimes aus Deutschland. Das waren Angaben aus dem Arbeitsministerium. Man hatte wohl einfach vergessen, die Totenscheine nach Deutschland zu schicken. Und das jetzt schon seit drei Generationen? Auf jeden Fall hielt sich die Berliner Regierung durch dieses Verhalten einen stabilen Stützpunkt in Südamerika.
Schütz schnaufte ein paar Mal und wachte endlich auf. Ausgeschlafen und fröhlich fragte er „Wo sind wir?“
Heiligduft wies nur auf den Anzeigenmonitor vor ihnen. Eine Flugzeugikone zeigte den Standort an. Sie waren kurz vor dem Festland des südamerikanischen Kontinents. Zunächst bis Rio und später nach Asuncion. Dort sollten sie abgeholt werden von ihrem Mittelsmann. Sein Name, Carlos Blaugut.
Nach der Ankunft in Asuncion überfiel sie Blaugut mit seiner unvorstellbar guten Laune. Heiligduft war es zum kotzen.
„Zunächst einmal in Ihr Hotel. Ich kann mir vorstellen, dass Sie rechtschaffen müde sind. Sie sollten sich frisch machen. Wenn Sie wollen, gehen wir zusammen essen. Ansonsten komme ich morgen um zehn Uhr zu Ihnen.“ Der vielleicht 45 jährige Mann sah mit seinem vollen blonden Haarschopf so wild aus, wie das Land, über das sie in der letzten Stunde geflogen waren. Braun gebrannt, verwittert und verwegen. Ein Abenteurer, dem kein Einsatz zu hoch schien für ein ordentliches Spielchen. Eine Figur aus Jack Londons
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