Der Kofferträger (German Edition)
hatten Vorrang vor der Trauer um Carlos. Andernfalls würden Alberta oder einer seiner Kumpane ihr die Hölle heißmachen. Der BNDler wäre kein guter Geheimdienstler, wenn er das nicht sofort erkannt hätte und umzusetzen in der Lage wär.
Atom setzte sich abends an seinen Internetzugang und korrespondierte mit der Zentrale der PCD. Die verschlüsselten Nachrichten deuteten weitere Millionen in der Zukunft an, die über ihre deutschen Siedler laufen könnten. Der Job war nicht schwer, nur schön, wenn er sich überlegte, dass er in der Summe größere Beträge hin und her bewegte.
Zufrieden stattete Atom an einem solchen Abend der Terrasse einen Besuch ab. Maria gesellte sich zu ihrem Gast, gemeinsam träumten sie schweigend in die stille Dämmerung hinein. Über die langsam in den Gran Chaco wechselnde Landschaft im Westen legte sich ein geröteter Abendhimmel. Hinter der Farm grasten schwarze, braune und sogar weiße Rinder, einige standen nur herum, andere legten sich auf den Boden. Einen Stall gab es nicht. In diesem ewig warmen Klima war es nicht notwendig, das Vieh im Winter hereinzuholen. Wie groß sollte auch ein Stall sein, der Tausende von Rindern unter einem Dach versorgen könnte?
Palmen, seltene Bäume und Sträucher, die er in seiner Heimat niemals gesehen hatte, wurden in der untergehenden Sonne von der Dunkelheit verschluckt. Gleichzeitig erhob sich das Gute Nacht Konzert aus den Schnäbeln Hunderter von Vögeln. Unheimliche Rufe aus dem nahen Wald ließen ihn frösteln. Der schwere, süßliche Duft aus exotischen Blütenständen, von dem schon Schütz berichtet hatte, legte sich auf sein Gemüt. Atom kannte nur noch eine Sehnsucht, dieses Land niemals verlassen zu müssen. Das Landleben war für den Freund des Hauses besser geschaffen, als seine wie auch immer gearteten Tätigkeiten in Deutschland. Wie hatte er nur früher so hektisch leben können? Wohlweislich hatte der große, gut aussehende Mann aus der Mitte Europas seine Vergangenheit gegenüber der Gastgeberin geheim gehalten. Von Steuerhinterziehung kein Wort, seine bestehende Ehe verschwieg er, als Beruf gab er niemals Geheimdi enstler an, nur Mitarbeiter der Partei des Kanzlers. Das klang in Auslandsohren immer gut. Maria fragte nicht nach weiteren Details. Atom stellte sich auf sein Leben in Paraguay ein.
„Wenn wir das alles noch besser organisiert haben“, flüsterte er ein wenig lauter über den kühlen Abendwind hinweg, „möchte ich mit Ihnen ausgedehnte Ritte über die Estancia machen. Mit dem Reitpferd die Lande durchstreifen und nach dem Rechten schauen.“
Die Nachtrufe der Eulen saugten Marias leichtes Seufzen auf. Trotz des schwachen Lichtes lagen ihre Augenhöhlen erkennbar hinter einem leichten Nebel. Niemand sah die winzigen Tränen, die über ihre Wangen rannen. Waren es die Bindungen an ihren ermordeten Mann, waren es die Aussichten auf eine wohlgestaltete Zukunft? Oder war es einfach ein zwischendrin, eine Freude über den Augenblick der Gegenwart? Wegen ihres überwältigten Gefühls musste ihr Gast ein wenig länger auf eine Antwort warten.
„Die Ritte machen Sie doch jetzt schon ausgiebig, mit den Kindern und alleine.“
„Wie viel schöner wäre es, gemeinsam mit Ihnen die Weiden und Wälder zu durchstreifen.“
Er konnte so schön erzählen, so vielsagend die Bedeutung der Worte zu ihr herüber bringen. War sie in Gefahr oder gewann ihr Heim mehr an Leben?
An der Decke der Holzterrasse baumelte eine Petroleumlampe. Ihr unregelmäßiges Licht warf lebendige Schatten auf den Bretterboden. Die beiden ruhten in den zu Liegen erweiterten Gartenstühlen. Auf einem niedrigen Tisch glühte ein südamerikanischer Wein in dem weichen gelben Licht. Gemeinsame Geschäftserfolge hatten ihre gegenseitige Zuneigung wachsen lassen. Atom hatte es verstanden, die Interessen Marias in den Vordergrund zu stellen, und ihr Zutrauen wurde durch nichts erschüttert. Ein unaufdringlicher, männlicher Schutz in ihrem Haus schenkte ihr die notwendige Sicherheit. Der Mann an ihrer Seite schenkte ihr die Zuversicht für ein neues Leben. Sie fühlte sich mit ihm durch ein sanftes Band verbunden. Zum wiederholten Male vermischte sich der Klang ihrer aneinanderstoßenden Weingläser mit den unzähligen Stimmen der Nacht. Seine Unsicherheit eines unbedarften Gymnasiasten hinterließ bei ihr mehr Eindruck als ein forsches forderndes Auftreten. Ihre Gefühle begegneten sich unausgedrückt. Die Emotionen stießen klingend aneinander.
Er
Weitere Kostenlose Bücher