Der Kofferträger (German Edition)
So erhielt Olga am nächsten Tag zwanzigtausend Mark in bar und die Bestätigung eines Notars mit weiteren zwanzigtausend Mark auf einem Anderkonto. Schon am übernächsten Tag saß sie in einem Flugzeug nach Venedig neben einem Italiener, der weder deutsch noch englisch konnte. Immer wieder prägte sie sich das Bild der italienischen Schönheit ein, deren Genuss sie bald teilen durfte. Eine ruhige Zeit von vielleicht zwei Wochen, ein wenig Vergnügen und sonst nichts als Entspannung.
Zur gleichen Zeit machten sich in Mailand zwei Typen daran, eine junge Frau von der Via Svetonio zu verfolgen. Sie lief aufgeregt durch enge Gassen, an vielen Müllcontainern vorbei, bis sie vor einem Haus stehen blieb. Durch eine Kamera mit einem starken Teleobjektiv beobachtete einer von beiden, auf welche Klingel sie drückte und machte ein Foto. Die Position des Klingelknopfes würde reichen.
42 Onkel Siegfried
Könnte er seine Aktionen in Ruhe vorbereiten?
Knisternde Scheine auf dem Tresen der Hotelrezeption ohne dem lauernden Luchs der Finanzbehörde bestätigten sich noch immer als wirkungsvollstes Argument. Gerade diese Kaschemme müsste jegliche Nachfragen der Ordnungspolizei fürchten. Vorausschauend hatte Schütz für drei Nächte bezahlt. Jetzt lag er im Bett. Als nach langer Zeit seine aberwitzigen Träume von Verfolgung und Mord an die Oberfläche seines Bewusstseins gelangten, kehrte er ins Leben zurück. Die Armbanduhr zeigte sechs Uhr in der Frühe. Unendlich lange hatte er geschlafen. Er war ausgeruht. Beklemmend wurde ihm seine Situation bewusst. Nachdenklich hockte er auf der Bettkante. Nachdenklich stützte er seine Ellbogen auf die Knie und legte seinen schweren Kopf in die geöffneten Hände.
Für die einen würde er sicher zu den Aufklärern und Rettern der Demokratie zählen, für die anderen wäre er schon der Betrüger und Verräter. Es zählt nur, wie ich das sehe, sagte er sich.
Aber was sollte er jetzt tun? Um ihn herum lauerten allenthalben Gefahren. Das Kanzleramt mit seinen Geheimdiensten und Verfassungsschützern würde nicht untätig zuschauen, bis er aus ihrer Sicht erneut Unruhe stiftete. Selbst wenn sich der Verfassungsschutz schon vor vielen Jahren als zahnloser Papiertiger erwiesen hatte, und die Mitarbeiter bis in seine Zeit nicht begriffen, wofür sie eigentlich da wären. Seine Anzeige war mit Sicherheit bekannt geworden. Bevor irgendetwas aus seinen Dokumenten an die Öffentlichkeit geriet, müssten sie ihn vernichten. Ethisch zu leben birgt eine Menge Gefahren, analysierte er seinen Standort.
Unter der Dusche sprach er mit sich selbst. „Jetzt mach ruhig Jürgen. Überlege deine Vorgehensweise. Keine weiteren Fehler.“
Nach einem guten Frühstück in dem Café nebenan zog er sich mit einem Bündel Zeitungen in sein Zimmer zurück. Aufgeregt steckte er seine Nase zwischen die Seiten. Auch die Blätter, die ein wenig später gedruckt und erschienen waren, brachten nicht eine Zeile über ihn. Selbst in den Nachrichten der Rundfunksender und des Fernsehens hörte er nicht den geringsten Hinweis. Aber hier, da war doch etwas. Eine Meldung über eine rechts orientierte Gewaltanwendung gegenüber einer Person aus der Türkei in einer Zeitung aus Leipzig. Mit einer solchen Meldung versuchte die Regierung, alle internen Ganovenstücke zu vertuschen.
Keine schlechte n Aussichten noch eine Weile als Toter herumzulaufen. Dennoch durfte er in Berlin von niemandem erkannt werden. Er musste raus, irgendwohin aufs Land, wo der Generalbevollmächtigte gänzlich unbekannt war. Im Augenblick war sein Zimmer in dieser Kaschemme ein sicherer Hort, auch wenn es nach Mädchen und Mäusen roch. Inmitten der Düfte von aufdringlichem Rasierwasser und Armsprays und noch aufdringlicherem Parfüm erholte er sich zusehends. In einer Reinigung ließ er seine Kleider pflegen, studierte eifrig die Medien und formulierte in Gedanken seine Vorgehensweise. Sein Handy warf er in einen Container, als ein Bagger gerade den nächsten Müll auflud. Es landete unter einem Berg alter Schaufensterpuppen. Ja, dort wird mich der Verfassungsschutz sicher bald suchen, grinste er.
Nach einigen Tagen war es Zeit von hier zu verschwinden. Die Besucher des kleinen Hotels und des Restaurants begannen, ihn als Kumpel zu vereinnahmen. Die aufgedonnerten Mädels, die zu unterschiedlichen Zeiten kamen und gingen, forderten ihn völlig kostenlos zu einer Audienz auf. Lange könnte er da nicht mehr ausweichen. Zumal ihn
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