Der Kofferträger (German Edition)
die kräftigen Burschen in der Hotelhalle gerne schon einmal zu einem Bier einluden, nachdem sie sich versichert hatten, dass von dem jungen Mann keine Gefahren ausgingen. Sie hielten ihn für einen Schriftsteller oder so etwas Ähnliches, der das Milieu kennenlernen wollte. Kein schlechter Pseudoberuf ging es ihm durch den Kopf, in der Welt der Pseudodemokratie und Pseudomoral.
Was ihn noch am meisten störte, waren die Pitbulls, die sich ihn zum Freund machen wollten und knurrend um seine Beine strichen. Er war sich unsicher, wie lange eine solc he Freundschaft andauern könnte und zog die Konsequenzen.
*
Ein wenig später saß ein Reisender mit einem neuen Koffer im Zug nach Neuruppin, der Geburtsstadt von Theodor Fontane. Aus dem Fenster betrachtete er die Landschaft nördlich von Berlin. Bittere Kälte hatte sich über das Land gelegt. Seit der letzten Nacht hatte es zudem noch stark geschneit. Über die Wälder, kleinere Seen, trockengelegte Sümpfe, Weide- und Ackerland fegte ein eiskalter Wind. Der Blick auf den Neuruppiner See zeigte seine Endstation an. Von hier aus fuhr er die wenigen Kilometer mit dem Taxi nach Lichtenberg. Ein paar Mal war der Wagen schon hin und her gerutscht und hatte sich im tiefen Schnee festgefahren.
„Es tut mir Leid“, meinte der Taxifahrer, „ich fahre nicht mehr weiter. Das ist mir zu riskant. Sie sehen selber, hier ist nicht geräumt worden. Den Rest müssen sie zu Fuß gehen.“
Es war dem Reisenden nicht unrecht. So stieg er einen halben Kilometer vor dem Ort aus und ließ das Taxi zurückfahren. Angenehm würzig empfand er die frische Schneeluft in diesem Naturschutzgebiet. Er bückte sich, nahm eine Handvoll Schnee auf, rieb sich damit das Gesicht und steckte den Rest in seinen Nacken. Noch einmal nahm er eine handvoll auf, die er sich in den Mund schob und an ihr lutschte, bis sie völlig geschmolzen war. Auf seinem Weg lauschte er dem Knirschen unter seinen Füßen, und nur hin und wieder störte ein fernes Geräusch seinen einsamen Weg.
Am Ortseingang schwebte, kaum sichtbar in dem strahlenden Weiß, der zaghafte Schatten eines winzigen Hofes. Ein Häuschen mit einem kleinen Stall dahinter. Ein paar Hühner gackerten aufgeregt, als er sich näherte. Von der Straße führte ein kleiner Weg zum Hauseingang, an der Vorderfront mit einem sauberen Jägerzaun abgegrenzt. Ein winziges Haus mit kleinen, jetzt zugefrorenen Fenstern, grauem Rauputz und einem tief hängenden Dach, auf das sich der Schnee gelegt hatte. Das geduckte Häuschen vermittelte den Eindruck, als schenkte es den Bewohnern auch noch im wildesten Sturm Geborgenheit. Schütz stapfte durch den winzigen Vorgarten. Ein niedriges Gartentor quietschte, als er es öffnete und zur überdachten Haustür ging. Dort trat er seine Schuhe gegeneinander, um den Schnee unter den Sohlen los zu werden. Er klopfte zaghaft, einmal, zwei Mal und etwas fester zum dritten Mal. Nach dem Öffnen der Tür stand ein freundlicher alter Mann in dem Bogen. Mehr entsetzt als erstaunt schaute ihn der Haubesitzer an. Er wich schweigend zurück und machte den Eingang frei. Als Schütz schon im Flur stand, stammelte der Mann ein paar freundliche Worte.
„Komm herein, du wirst dich ausruhen wollen.“
Der Alte schob ein paar Illustrierte vom Sofa und lud seinen Neffen ein, Platz zu nehmen. Auch im Raum herrschte Kälte. Schütz sah sich um. Sauber und mit alten Möbeln vollgestellt. Möbeln aus vorvergangener Zeit. Teilweise noch aus den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Zeit war in dem kleinen Haus stehen geblieben. Eine Moderne, wie er sie aus seinem Wohnpark kannte, existierte nicht. In einer Ecke träumte ein alter, grün belegter Nierentisch, die Ränder ein wenig abgegriffen. Couch und Sessel waren von vielen Besuchern durchgesessen. Kleine Kissen zierten die Sitzflächen. Auf einem Couchtisch aus Glas, von breiten Holzverzierungen umrandet, mit verschnörkelten Tischbeinen, lag eine Fernsehzeitung. In dem breiten Holzbett an der gegenüberliegenden Seite hatten sicher schon viele Generationen ihre Ruhe gefunden und vielleicht auch waren sie darin gestorben. Nun wartete das Bett auf seinen letzten dahin scheidenden Reisenden. Schicksalhafte Gestalten schwebten unsichtbar im Raum. Er fühlte deren Anwesenheit. Eine schmale Küchenzeile mit einem Spülbecken und einem Elektroherd vervollständigte den Lebensraum des Alten. Ein kleines zartes Männchen mit einem eingefallenen, dürren Gesicht,
Weitere Kostenlose Bücher