Der Kofferträger (German Edition)
die nur allzu langsam verblassen wollten.
Von Carla war sie in der Wohnung der Freundin untergebracht worden. Schon wenig später war sie wieder entführt und auf das Schiff gebracht worden. Der blonde Italiener hatte ihr minutiös geschildert, welches Schicksal ihnen beiden zugedacht war, auch dass sie zuvor zuhören sollte, wie sich ihr Geliebter mit Olga vergnügte. Gemeinsam sollten sie danach mit dem untergehenden Schiff auf dem Boden des Meeres versinken. Das Wissen darum hätte ihr beinahe den Verstand geraubt.
Wie könnte Jürgen der Gerechtigkeit jetzt noch zum Durchbruch verhelfen?
44 Explodierendes Freudenfeuer
Hatten sie jetzt das Schlimmste hinter sich gebracht?
Sie konnten nicht ahnen, was sie noch erwartete.
I n der Nacht glitt ein kleines Holzboot an der Westseite der Pfaueninsel entlang. Es strebte auf die Anlegestelle bei Nikolskoe zu. Dunkel hob sich die Hütte vor dem Hintergrund ab. Der Ruderer stach geräuschlos aber kraftvoll die kleinen Paddel ins Wasser. Er kam gut voran. Mit wachsamen Augen beobachtete er das Restaurant an der Südspitze der Pfaueninsel. Es hatte längst geschlossen. Die Jahreszeit war nicht gut geeignet für den Tourismus. Die späte Stunde hatte auch den letzten Gast vertrieben. Schweigend lag das Ausflugslokal Nikolskoe in nächtlicher Einsamkeit. Von St. Peter und Paul ragte der schwarze Turm wie ein drohendes Monument in den Himmel.
Aus der Waldlichtung, die er ansteuerte, glänzten ihm viele helle Lichter wie ein Sternenfunkeln entgegen. Anita hatte ihre Freunde eingeladen. Ein Trauerfest oder eine Gesellschaft mit Genugtuung? Bald würde er es wissen. Viele Freunde waren offenbar gekommen, obwohl oder weil es den Jürgen Schütz nicht mehr gab?
Der Ruderer glitt auf das Bootshaus zu. Schweigsam und finster lag es am Rande des Ufers. Er atmete gierig die frische Wald- und kühle Seeluft ein. Kein Wunder, sie ließ sich angenehmer einatmen als das Spritzwasser bei dem Rettungsversuch in dem sinkenden Beiboot. Er empfand sie aber erdrückender als den wehenden Wind am Golf von Tarent.
Der Besucher nahm nicht den normalen Eingang von der Stegseite her. Unbeobachtet konnte er in dem Winkel zwischen Bootshaus und Ufer anlegen. Der Außenborder hing jetzt mit seinem Propeller im Wasser, der Tank war gefüllt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Im Notfall musste er schnell den Platz verlassen können. Die kleine Tür am Bugende des Bootshauses, durch die er eintreten wollte, war verschlossen. Es war Winter und verdammt kalt. Der See war nicht zugefroren, aber er raubte ihm den Atem, als sich Jürgen von seinem Boot in das kalte Wasser gleiten ließ. Unter den senkrechten Wandbrettern der Holzhütte tauchte er hindurch und bestieg den Steg, an dem seine Yacht lag. Als Erstes öffnete er von innen die kleine Bugtür der Hütte, um sie im Notfall schnell verlassen zu können.
Die Leiche schien fortgeschafft worden zu sein. Vielleicht auch hatte die Hauherrin den toten Körper noch einmal und diesmal mit mehr Zeit sorgfältiger verpackt, weil sie etwas anderes mit ihr vorhatte. Der Gestank der Verwesung blieb weg. Dafür aber schnüffelte er nach einer anderen Quelle.
Ein Schirm dämpfte das Licht seiner Taschenlampe. Er war nur gekommen, um ein wichtiges Dokument aus versteckter Stelle im Schiffsrumpf zu holen. Ähnlich wie er seit seiner letzten Fahrt nach Zürich den Fahrzeugbrief seines Autos ständig bei sich trug, hat te er das Eignerzertifikat im Schiff versteckt. Schon beizeiten hatte er überlegt, es könnte notwendig werden, die Segelyacht zu verkaufen, um sein materielles Überleben für eine gewisse Zeit zu sichern. Der Zeitpunkt war gekommen, schneller als er je geahnt hatte.
Im Bootshaus herrschte eine qualvolle Enge. Der muffige Geruch ließ sich schnell erklären. Voll gestellt mit Kisten und Kästen, als wenn jemand einen Umzug plante. So war es schwierig in das Schiff zu gelangen. Aber auch unter Deck waren alle Räume vollgestopft mit Kartons und einzelnen Ordnern. Hatte Anita seine Sachen schon aus dem Haus geworfen? Verzweifelt wühlte sich Schütz bis zur kleinen Dusche vor. Handtücher und Seife lagen bereit. Für einen früheren Törn war alles vorgesehen. Jürgen Schütz streifte seine nasse Kleidung ab und rubbelte seinen Körper mit einem Badetuch. Selbst trockene, einfache Seemannskleidung fand er in dem kleinen Wandschrank vor, die er anlegte. Einen zweiten Satz Kleidung versteckte er mit einem Plastiksack im Beiboot. Dann
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